Selfies mit Preisgeld

547 Wörter, 3 Minuten Lesezeit

Mara Genschel

Aus: Selfies mit Preisgeld

Lob des Geldes I

Heute morgen um 11:39 erschien wie ein Heiliges das Heimrad Bäcker Förderpreisgeld auf meiner Kontostandanzeige und ich machte sofort einen Screenshot. 3474,92 Euro im Plus! Gestern und vorgestern waren schon zwei andere langersehnte Honorare eingetroffen, die mein dürres Dispo von 500, bereits bis fast zum Rand wieder aufgepolstert hatten: so kam es zu dieser überaus erstaunlichen digitalen, schwarzen Zahl. Den Rest des Tages verbrachte ich damit, Schulden und anderes, von dem vielleicht später die Rede sein soll, hierhin und dorthin zu überweisen, inzwischen steht leider keine „3″ mehr an ihrer magischen ersten Stelle.

Da gibt es nichts zu beschönigen!

Ich sprang ins kühle Nass des Arbeitsmarktes, mehrfach und verbissen, aber es hat nicht funktioniert. Dies gilt es weder zu mystifizieren noch zu beschönigen. Ende der Rechtfertigung.

Lebensform

Ich schäme mich für meine Lebensform!

(Ich weiß aber nicht, für welche Lebensform ich mich nicht schämen würde.)

Lob des Geldes II

Wir haben uns das eigentlich alle ganz anders vorgestellt. Desillusioniert, aber gestählt, vergleichsweise erfolglos, dabei aber auf eine gute Weise einig, und uns für unser Durchhaltevermögen gegenseitig auf die Schultern klopfend, gründeten wir unter mehreren Kolleginnen im Dezember 2014 eine Organisationsform, für die uns bis heute keine bessere Bezeichnung eingefallen ist als, etwas grob: „Syndikat“. Ein Testballon, ein kleines Portiönchen an Revolution. Wir sind nicht allzuviele, noch, aber mehr als drei. Eine der Hauptüberlegungen dabei ist das langfristig angelegte und vage formulierte Ziel der „Umverteilung“ durch einige kleine, feste, nämlich konkrete Regeln vorzubereiten und gewissermaßen zu erproben. Die bisher festeste und konkreteste Regel betrifft momentan den Fall der individuellen, nicht an Residenzen oder Wettbewerbe oder andere Bedingungen geknüpften Auszeichnung. Wird eine von uns, aufgrund einer ihr wohlgesonnenen Jury, an einem schönen Tag unter allen anderen hervorgehoben, so soll das Lob ihr allein zuteil – die damit verknüpfte, sicherlich ermutigend gemeinte Summe Geldes, die in einer praktischen Auslegung allerdings nichts als eine allgemeine Vergütung der von ihr als Arbeit verstandenen Arbeit ersetzt, aber, soll von dem Lob getrennt, auf null heruntergekühlt und einem allen gleichermaßen dienlichem Zwecke, der solidarischen Gemeinschaft zugeführt werden. Wird eine von uns an einem schönen Tag unter allen anderen zum Beispiel  alleinerziehend schwanger, wird vermutlich ihr ein Hauptteil zugesprochen. Jedes Preisgeld, so heißt es jedenfalls, kommt in einen „Topf“, in ein noch einzurichtendes Konto wird es eingepflegt und von der Würdenträgerin sowie dem Würd- und Ehrereignis selbst getrennt und erst einmal nicht weiter angerührt. Im Zweifel wird es irgendwann/hernach geteilt.

Wenn der „Topf“ aber nun ein Loch hat!

Nach drei Jahren bin ich nun von uns die erste, der so eine unerwartete Zuwendung zuteil wurde, und ich benutze den von Urs Engeler für mich in der Mütze freigeräumten Slot, um den Vorgang öffentlich zu machen. Also den Vorgang, dass das Heimrad Bäcker Förderpreisgeld von 3500 in diesen „Topf“ geht.

Arme Mara!

Verdienst du dein Geld denn mit Lesungen nicht?
Vertreibst du nicht professionell(e) Gedicht (e)?

Ich wünschte, ich könnte! In Urs Engelers Mütz'
werd ich's noch mal versuchen, ich hoffe, er druckt's.

Ich träume von dem T-Shirt mit dem heulenden Kopf.
Davon will ich schreiben – und von dem To-hopf.

Im Topfe liegen Euro, fast dreitausend an der Zahl.
Davon will ich schreiben – und von der Moral.

Aus: Mütze #17, herausgegeben von Urs Engeler, 2017, S. 857-859

8 Comments on “Selfies mit Preisgeld

  1. Ja, genau zu beschreiben, was man dasteht, erfordert leider immer viel Aufwand und um hier einigermaßen Klarheit zu erreichen stets mehr Länge als der hat, den man untersucht.

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  2. Ich gebe Ihnen ja recht, das Gedicht ist dilettantisch, allerdings (ich wäre vorher geneigt zu denken: sichtlich) mit voller Absicht. Insofern erkenne ich die Peinlichkeit nicht recht darin.

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  3. Ich kommentiere gewöhnlich die Gedichte der Lyrikzeitung nicht (zumal immer wieder sehr interessante dabei sind). Heute früh also mein erster Kommentar zu „Selfies mit Preisgeld“: Das ist ungewöhlich dilettantisch und peinlich – für die Autorin, aber auch für den Verleger Urs Engeler. Vielleicht auch für die Lyrikzeitung? Urs Heftrich

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    • Das kann man – wie so vieles,
      wie das meiste, so oder so sehen, womöglich sogar so. Ich finde es nicht peinlich, weder für Autorin noch Verleger. Mit „dilettantisch“ können Sie etwas treffen – aber es ist ein gewolltes Nichtkunstfertig sein, nicht perfekt sein. Ich glaube, die Autorin hat früh gespürt, dass sie zu schön, zu perfekt, zu „ästhetisch“ schreiben könnte, und früh nach Strategien gesucht, gegenzusteuern. Man merkt es jeder ihrer Lesungen – Nichtlesungen! – an. Was dieses Gedicht betrifft – peinlich, unwürdig ist die Situation, nicht die Reaktion darauf. Wie könnte man auch darauf reagieren? Entweder vornehm darüber hinwegsehen oder… peinlich sein. Soweit ein paar schnelle Gedanken. Sitze gerade gerade im Zug, gleich kommt das große Funkloch zwischen MV und Brandenburg. (Erst am nächsten Tag merke ich, dass mein gestern im Zug geschriebener Kommentar im Nirvana zwischen Greifswald und Berlin offenbar verlorengegangen war. Ich glaubte ihn abgeschickt zu haben. Ich hatte also Ihren Kommentar noch lesen können, aber dann war das Netz weg ohne mir bescheid zu sagen.)

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      • Vielen Dank für diese rasche Antwort aus dem rollenden Zug! Sie verteidigen das Gedicht sehr eloquent. Ihre Apologie ist freilich überzeugender geraten als der Gegenstand, den sie beschützt. Ich stimme Ihnen völlig darin zu, dass es hohe Kunstfertigkeit erfordert, künstlerisches Ungeschick zu imitieren. Ich denke da an den Tanz des Esels im „Mittsommernachtstraum“ – die ultimative tänzerische Herausforderung. Wäre man als Choreograph aber gut beraten, einen Nicht-Tänzer oder gar einen echten Esel auf die Bühne zu stellen? Ich glaube: eher nicht. Kurzum: Ihre Verteidigung finde ich sympathisch. Sie rettet in meinen Augen aber leider nicht das Gedicht. Es GIBT sich nicht nur grottenschlecht. Es IST schlecht. Pardon & beste Grüße, Urs Heftrich

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      • Ja, wir müssen uns nicht einigen. – Ich habe mal etwas über die Antiästhetik der Autorin geschrieben, in: Bertram Reinecke (Hrsg.): Mara Genschel Material. Leipzig: Verlag Reinecke & Voß, 2015

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      • Ich komme erst jetzt zum Antworten: Ich wusste vorher nicht genau, was genau Sie meinen. „Schlecht“ ist ja zunächst lediglich eine Wertung. Insofern vielen Dank, dass Sie sich dazu näher geäußert haben. Es scheint Ihnen um eine Art Kunstfertigkeit zu gehen. Also dass man einen Esel nachahmt und keiner ist. Ich möchte Sie auf ein paar am Text sichtbare Signaturen hinweisen, die zeigen, dass es sich hier um eine gemachte Eselei handelt und nicht um einen hierher getrieben Esel. (Als Lektor eines Lyrik-Verlages und Juror muss ich mich wider Willen unter die Esel-Experten rechnen.)

        Zunächst werden Sie mir Recht geben, dass das nachgestellte „nicht“ in der ersten Zeile sehr unbeholfen wirkt, geradezu wie dorthin gezwungen. Jemand, der dies tut, tut dies oft, (wie es das Gedicht auch vorgibt) um des Reimes Willen. Jemand der solche schreiberischen Anliegen hat, wird jedoch niemals gleichzeitig ausstellen, dass er nicht wirklich einen passenden Reim hat, sondern alles syntaktisch (un)mögliche dafür tun, dass der Reim dann auch wirklich glatt läuft, und nicht mittels der Typografie den Nicht-wirklich-Zusammenklang auch noch unterstreichen.

        Jemand, der einen unglücklichen Reim hat, wird sich ganz selten trauen, ausgerechnet gleich anschließend (Zeile 3 und 4) einen äußerst unreinen Reim danach zu liefern. (In der Regel vergewaltigen reimende Hobbydichter die Syntax, wie sie nur können, ehe sie überhaupt einen unreinen Reim machen, und werden viel sprachlichen Mist machen, aber kaum zwei unreine Reime hintereinander bringen. Zumindest werden sie sich nicht einmal um der Reinheit willen so verbiegen und das dann tun.)

        Nun kommt ein reiner Reim, der aber etwas komisch wird, weil er sich eine zusätzliche Silbe (To-hopf) genehmigt. Die Frage wäre wozu? (Es deutet eine Art Singen an, spottend vielleicht oder entnervt.) So etwas dürfte ebenfalls kaum als Dilettanten vorkommen, die sich, wo sie es leicht in der Hand haben (und hier wäre es ja sehr leicht, die zusätzliche Silbe zu streichen), meist bemühen, ohne Abweichung und möglichst geläufig zu sprechen. Und Metrisch ist die Silbe ja sogar eher störend, weil sie das zweite mal im Gedicht erzwingt, dass strenggenommen eine weibliche auf eine männliche Endung reimen muss!

        Danach läuft das Gedicht mit dem einzigen ganz konventionellen Reim in eine Schlusspointe.

        Das heißt auch: Die Reime sind wohlgeordnet nach der Adäquatheit. Von völlig daneben, über streitbar zum üblich adäquaten. Natürlich weiß ich, dass Affen, wenn man sie lang genug auf einer Tastatur herumhacken lässt, rein zufällig irgendwann eine Szene des Sommernachtstraums tippen können, aber wenn Sie glauben, dass diese Ordnung der Kunstmittel einem Esel geglückt ist, dann nehmen Sie den unwahrscheinlichen Fall für den wahrscheinlichen. Sie müssten also sehr starke Argumente (oder auch nur Meinungen oder Vorurteile) gegen diese Dichterin (oder moderne Dichter, oder unbekannte Dichter) haben, damit Ihnen dies so wahrscheinlich vorkommt. Oder anders gesagt: Vielleicht hat hier jemand wirklich zu überzeugend einen Esel gemiemt, dass Sie tatsächlich dachten, ein Esel stände auf der Bühne?

        Sie brauchen das Gedicht natürlich dennoch nicht mögen, es braucht nicht nach Ihrem Geschmack sein. Diese Beiläufigkeit des Sprechens, mag sie stören? Der Sommernachtstraum mag Ihnen besser gefallen, ist doch fein! (Und selbst die Verteidigung dieses Gedichtes mag Ihnen wieder besser gefallen, als das Gedicht selbst!) …

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      • Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Ich kann nun meinerseits ganz kurz sein: Sie haben recht mit Ihrer Vermutung, dass mir Ihre Replik erheblich besser gefällt das das Gedicht. Sie betreiben einen erheblichen intellektuellen Aufwand, an dem ich meine intellektuelle Freude habe. Freude am Gedicht kommt trotzdem nicht auf. Sorry.

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