New York

Léopold Sédar Senghor 

(* 9. Oktober 1906 in Joal, Senegal; † 20. Dezember 2001 in Verson, Frankreich) 

New York
(für Jazzorchester: Trompetensolo)

I
New York! Zuerst war ich verwirrt von deiner Schönheit, von den großen
   goldenen Mädchen mit langen Beinen.
So schüchtern zuerst vor deinen Augen aus blauem Metall, deinem 
   Lächeln aus Reif
So schüchtern. Und die Angst tief in den Wolkenkratzerschluchten
Schlug die Käuzchenaugen auf zur verfinsterten Sonne.
Schweflig dein Licht, bleifarben die Schäfte deren Köpfe den Himmel bestürmen,
Die Wolkenkratzer die den Zyklonen trotzen mit stählernen Muskeln und
   ihrer glattgeschliffenen Steinhaut.
Doch vierzehn Tage auf dem kahlen Pflaster Manhattans
– Am Ende der dritten Woche springt wie ein Jaguar dich das Fieber an – 
Vierzehn Tage ohne Brunnen und Weide und alle Vögel der Lüfte
Fallen tot herab zu der Asche auf den Terrassen.
Kein Lachen blühenden Kindes, dessen Hand meine frische Hand faßt.
Keine Mutterbrust – aber Nylonbeine, Beine und Brüste ohne Gerüche und
   Schweiß.
Kein zartes Wort denn es fehlt an Lippen, nur künstliche Herzen mit harter
   Münze bezahlt
Und nirgends ein Buch der Weisheit. Der Malerpalette entblühen Korallen-
   kristalle.
Nächte der Schlaflosigkeit o Nächte Manhattans! Von Irrlichtern durchzuckt und
   Hupen heulen die Leere der Stunden aus.
Und dunkle Wasser spülen all die hygienische Liebe davon wie angeschwollene
   Flüsse Kinderleichen.
III
New York! Ich sage dir: New York laß schwarzes Blut zufließen deinem Blut
Daß es die Stahlgelenke dir mit Lebensöl entroste
Daß deinen Brücken es den Schwung von Kruppen schenke und die Biegsamkeit
   der Lianen.
Da kommen die uralten Zeiten zurück, die wiedergefundene Einheit, Ver-
   söhnung von Löwe, Stier und Baum,
Der Gedanke der Tat verknüpft, das Ohr dem Herzen, das Zeichen dem Sinn.
Da rauschen deine Flüsse von moschusduftenden Krokodilen und wunder-
   äugigen Lamantinen*. Und die Sirenen braucht man nicht zu erfinden.
Doch es genügt schon die Augen dem April-Regenbogen zu öffnen
Und die Ohren, vor allem die Ohren Gott der aus einem Saxophonlachen
   Himmel und Erde erschuf an sechs Tagen
Und am siebenten Tage schlief er den großen Schlaf des Negers.

Aus: Léopold Sédar Senghor: Botschaft und Anruf. Sämtliche Gedichte. Frz. u. dt. Hrsg. u. übersetzt von Janheinz Jahn. München: Hanser, 1963, S. 105

*) Lamantin: robbenartig gebaute Tiergattung aus der Ordnung der Wale und der Unterordnung der Sirenen. Mit fast nacktem Fischleib, bläulich-grauer Haut, wenigen borstigen Haaren, stärker beborsteter Oberlippe und vier kleinen Blattnägeln an den Zehen der Brustflossen. Im afrikanischen Mythos trinken die Lamantine (oder Seekühe) noch immer an der Quelle, wie einst, als sie noch Vierfüßler oder Menschen waren. (Ebd.)

A New-York
(pour un orchestre de jazz: solo de trompette)

I
New-York! D'abord l'ai été confondu par ta beauté, ces grandes filles d'or 
   aux jambes longues.
Si timide d'abord devant tes yeux de métal bleu, ton sourire de givre
Si timide. Et l'angoisse au fond des rues à gratteciel
Levant des yeux de chouette parmi l'éclipse du soleil.
Sulfureuse ta lumière et les fûts livides, dont les têtes foudroient le ciel
Les gratte-ciel qui défient les cyclones sur leurs muscles d'acier et leur 
   peau patinée de pierres.
Mais quinze jours sur les trottoirs chauves de Manhattan
– C'est au bout de la troisième semaine que vous saisit la fièvre en un 
   bond de jaguar
Quinze jours sans un puits ni pâturage, tous les oiseaux de l'air 
Tombant soudain et morts sous les hautes cendres des terrasses.
Pas un rite d'enfant en fleur, sa main dans ma main fraîche
Pas un sein maternel, des jambes de nylon. Des jambes et des seins sans 
   sueur ni odeur.
Pas un mot tendre en l'absence de lèvres, rien que des cœurs artificiels 
   payés en monnaie forte 
Et pas un livre où lire la sagesse. La palette du peintre fleurit des cristaux 
   de corail.
Nuits d'insomnie ô nuits de Manhattan! si agitées de feux follets, tandis 
   que les klaxons hurlent des heures vides
Et que les eaux obscures charrient des amours hygiéniques, tels des 
   fleuves en crue des cadavres d'enfants.
IlI
New-York! je dis New-York, laisse affluer le sang noir dans ton sang
Qu'il dérouille tes articulations d'acier, comme une huile de vie
Qu'il donne à tes ponts la courbe des croupes et la souplesse des lianes.
Voici revenir les temps très anciens, l'unité retrouvée la réconciliation du 
   Lion du Taureau et de l'Arbre
L'idée liée à l'acte l'oreille au cour le signe au sens.
Voilà tes fleuves bruissants de caimans musqués et de lamantins aux yeux de 
   mirages. Et nul besoin d'inventer les Sirènes.
Mais il suffit d'ouvrir les yeux à l'arc-en-ciel d'Avril
Et les oreilles, surtout les oreilles à Dieu qui d'un rire de saxophone créa le ciel 
   et la terre en six jours.
Et le septième jour, il dormit du grand sommeil nègre.

Als Dichter begründete Léopold Sédar Senghor zusammen mit Aimé Césaire und anderen das Konzept der „Négritude“, laut Verlagswerbung „der politischen und geistigen Einigkeitsbewegung aller Afrikaner, die Sartre als »eine liebevolle Einstellung zur Welt« definiert. »Négritude«, wie Senghor und Césaire sie begreifen, ist der Versuch, die Werte afrikanischer Kultur zusammenzufassen und dem Schwarzen Afrika Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein zurückzugeben.“

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