Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Veröffentlicht am 8. Januar 2020 von lyrikzeitung
Georg Heym
(* 30. Oktober 1887 in Hirschberg, Schlesien; † 16. Januar 1912 in Gatow)
Die blinden Frauen
Die Blinden gehn mit ihren Wärterinnen,
Schwarze Kolosse, Moloche aus Ton,
Die Sklaven vorwärts ziehn. Und sie beginnen
Ein Blindenlied mit lang gezogenem Ton.
Sie ziehn wie Chöre auf mit starkem Schritte,
Im Eisenhimmel, der sie kalt umspannt.
Der Wind türmt auf der großen Schädel Mitte
Ihr graues Haar wie einen Aschenbrand.
Sie tasten sich an ihrem großen Stabe
Die lange Straße auf zu ihrem Kamm.
Auf ihrer ungeheuren Stirnen Grabe
Brennt eines dunklen Gottes Pentagramm.
Der Abend hängt wie eine Feuertonne
Am Horizont auf einem Pappelbaum.
Der Blinden Arme stechen in die Sonne
Wie Kreuze schwarz am frohen Himmelssaum.
In: Die Aktion. Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur. Nr. 3, 6. März 1911, Sp. 76
Kategorie: Deutsch, DeutschlandSchlagworte: Georg Heym
Kann zu diesem Blog derzeit keine Informationen laden.
Neueste Kommentare