Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Wenn er seine Gedichte liest, klingt er wie eine Maschine. Und manchmal wie ein Maschinengewehr. Bumm, bumm, karge Halbsätze, hingeworfene Silben, dazu die linke Hand, die einen harten Takt schlägt: Serhij Zhadan spricht seine Texte mit einer Mischung aus Aggression und Desinteresse – als wende er sich beim Sprechen schon von der Katastrophe ab, die er eben beschrieben hat. „Nimm nur das Wichtigste mit“, hämmert er, „nur die Briefe, nimm nur das, was du tragen kannst. Die Ikone, Brot, Grünzeug. Dann geh, wir kommen nicht zurück. Nimm alle Briefe, auch den letzten, schlimmen.“
Es ist ein Poem über die Flucht aus dem Donbass, über die Meldung vom gefallenen Sohn, über Friedhofsruhe und Totenmessen. „Ich lege meine Koffer ab und krieche los. Vorbei an fremdem Grün. Vorbei am Vaterland, dem endlosen, entbehrlichen.“ Die Botschaft: Du kehrst nicht heim, nie wieder. Die schwarze Erde: „zerschlagen“.
Flucht, Vertreibung, Sterben – nie hatte Zhadan darüber geschrieben. Bisher. Der junge Ukrainer, ein schmaler, durchtrainierter Junge von 41 Jahren mit raspelkurzem Undercut, ist ein Popstar der Literaturszene und ein Literaturstar der Musikszene. Er ist textender und sprechender Teil der Band Sobaky v kosmosi (Hunde im Weltall). Auf Festivals ist er mal als Autor, mal als Bandmitglied unterwegs.
Seine Gedichte, seine Prosa, vielfach preisgekrönt, bei Suhrkamp auf deutsch erschienen, waren immer eine Feier des Lebens, der Anarchie, des fröhlichen Chaos. Er war ein Autor der postsowjetischen Jugendkultur, ein Wolfgang Herrndorf der Ukraine: Bei ihm wurde gesoffen und gekifft, gelacht und gevögelt, Freundschaft war dicker als Blut und sein wildes, abgefucktes, herrenloses Personal war immer auf der Suche und immer auf der Reise. / Cathrin Kahlweit, Süddeutsche Zeitung 28.11.
Neueste Kommentare