Robert Kelly

Wer Robert Kelly kennenlernen will, muss Umwege auf sich nehmen. Entweder muss er den Weg von New York ins das Städtchen Annandale-on-Hudson finden, das gute anderthalb Stunden Zugfahrt von der Großstadt entfernt ist. Oder er muss sich über englische Verse beugen. Seit vier Jahrzehnten ist der Lyriker Robert Kelly eine Größe im amerikanischen Literaturbetrieb, jedenfalls wenn man nach den üblichen Maßeinheiten urteilt: Kelly hat mehr als 40 Lyrikbände veröffentlicht, ferner Romane, Theaterstücke und Essays; er hat Literaturzeitschriften gegründet, an den großen Universitäten des Landes unterrichtet und er wurde für seine Verdienste von der American Academy of Arts and Letters ausgezeichnet. Und doch findet man in deutscher Übersetzung von Kelly kaum mehr, als einen Band mit Kurzgeschichten, „Schlaflose Schönheit“, (Residenz-Verlag, 1996).

Von dieser Seite des Atlantiks gesehen, ist Kelly Amerikas größter, lebender, unbekannter Dichter. Ein Zustand, der nachdenklich stimmt, da er einen Universalisten und Kulturvermittler trifft. Der 65jährige Kelly spricht sehr gut Deutsch und hat ins Italienische und Französische übersetzt. (…)

Trotz der Ruhe des Lehrberufs sieht Kelly sich als engagierten Schriftsteller, als „Poète engagée“. Die literarischen Moden der Sechziger und Siebziger hat er ausgelassen. Doch er hegt Vorbehalte gegenüber dem amerikanischen Kulturbetrieb: „Wenn die Duke Ellington ins Weiße Haus einladen, halten sie das für experimentell.“ Und er wundert sich darüber, dass so viele europäische Intellektuelle, die Gen-Food und McDonalds kritisieren, den amerikanischen Kulturexport „fraglos“ schluckten: „Das ist, als protestiere man gegen die Nazis und liest nichts außer Jünger.“ Seine Gedichte verbreitet Kelly seit Jahrzehnten nach Graswurzelmanier, preiswert und schmucklos bei „Black Sparrow Press“. Wer in seinen Anthologien „Red Actions“ (1995) und „The Time of Voice“ (1998) stöbert, findet einen Traditionalisten im Wandel. / Tanya Louise Lieske

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