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Jayne-Ann Igel auf Signaturen über das Gedicht Variationen zum grünen zet von Róža Domašcyna, Auszug:
In Róža Domašcynas Gedicht verhält sich die Geschichte antizyklisch – während sich Ende 1989 die Grenzen des Landes öffnen, zeitigt diese Öffnung im Innern eine neue Art von Ein-, Aus- und Abgrenzungen. Der Zaun symbolisiert keine Grenzmarkierung mehr, die zwar zu achten, aber relativ straflos zu überwinden ist, jetzt riskiert man eine Klage. Überhaupt spielen Zäune bei Róža Domašcyna eine große Rolle, und nicht zufällig trägt ihr erster, 1991 bei Janus press erschienener Gedichtband den Titel „Zaungucker“. Beinahe chronistisch begleitet sie hier diesen nicht nur in der Lausitz, aber dort weitaus einschneidenderen Prozeß, der in politischen Kreisen euphemistisch als Transformation bezeichnet wird.
Den Zäunen eignet nun eine andere Funktion (s. Hinter meiner Zaungrenze, S. 12), es spielt eine Rolle, wer hinter dem Zaun, wer davor (s. Zaungucker in „Zaungucker“, S. 9 und Budissin 89, S. 10: auf der Reichenstraße spricht man reichsdeutsch). Und dies umreißt den letzten Kulturbruch 1989/90, der auch als ein Akt der Entfremdung resp. Fremdwerdung, Befremdung zu verstehen ist – plötzlich betrachtet man das Sorbentum nicht mehr als Bestandteil der Heimatkultur, sondern als etwas, mit dem man fremdelt (Frauen in Trachten werden außerhalb folkloristischer Darbietung belächelt und beargwöhnt – so etwa in dem Gedicht Ich ging mit Mutter, in „Zaungucker“, S. 16). Jene, die als Sorben erkennbar sind, werden zum Teil wie Aussätzige behandelt (Budissin 90 in „Zaungucker“, S. 86), unvermittelt brechen Ressentiments seitens der Mehrheitsbevölkerung auf, ist eine Art völkischer Orientierung zu beobachten.
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