6. Pounds Schule

Der Duktus ist, wie es sich für ein Elementarbuch gehört, einigermassen autoritativ: Ezra Pound als Lehrer lässt keinen Zweifel daran, dass hier ein gewiefter Praktiker die Nachwachsenden in die Anfangsgründe seiner Berufserfahrung einweiht, ins rechte Lesen, das allen Schreibens Anfang ist. Recht lesen heisst anders lesen, als es damals, 1934, bürgerliche Lektüregewohnheiten und Lehrpläne der Universitäten (Pound definiert sie gern als «Anstalten zur Verhinderung des Lernens») vorsahen.

Das Alternativprogramm der «Ezraversity» bietet Grundlagenforschung und eine Neubestimmung des Kanons. Was ist Dichtung? Dichtung ist Verdichtung, sagt Pound mit einem deutschen Wortspiel, das etymologisch falsch, aber sachlich richtig ist. Oder: «Literatur ist Neues, das neu BLEIBT», «news that STAYS news»; man könnte auch sagen, eine Nachricht, die immer aktuell ist – gibt es eine bessere Definition? Wortspielerische Lakonik macht solche Merksätze einprägsam, die den Leser anspringenden Grossbuchstaben, so häufig in diesem Text, sorgen für den nötigen Nachdruck. Die etwas aufdringliche Typografie erinnert im Verein mit den Schlagworten an die Manifeste der Avantgarde, deren Nachhut dieses «ABC» bildet, zu einer Zeit, als die meisten Futuristen längst bei den Faschisten mitliefen.

Aber Pound stellt weder, wie einst Marinetti, brüllende Automobile über die Nike von Samothrake, noch wirbt er für den Abriss der Museen. Als konservativer Revolutionär will er den Wust des Tradierten auf seine Tauglichkeit für das Heute hin sichten; denn er sieht, unbescheidenerweise, die Funktion von Literatur darin, die Menschheit zum Weiterleben zu animieren. / Werner von Koppenfels, NZZ

Ezra Pound: ABC des Lesens. Aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem Nachwort von Eva Hesse. Arche Paradies, Arche-Literatur-Verlag, Zürich/Hamburg 2013. 138 S., Fr. 20.90.

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