102. Was mit Büchern

In seiner INTERVIEW-REIHE: KÖPFE DER BUCHBRANCHE stellt Leander Wattig Fragen an Leute aus der Buchbranche. Heute dabei Bertram Reinecke, Auszüge:

Als „Fachverlag für Horizonterweiterung“ wurde der Verlag „Reinecke & Voß“, den ich seit vier Jahren betreibe, vom Kritiker Dirk Uwe Hansen bezeichnet: Er bringt Texte in Deutschland weniger bekannter Schriftsteller, die in irgendeiner Hinsicht für die Entwicklung der internationalen Moderne (und ihrer Vorgeschichte) von Bedeutung waren, teils in deutscher Erstübersetzung heraus (z.B. Quevedo, Marino, Bertrand, Krutschonych, Białoszewski). Daneben nehme ich Gegenwartsdichtung ins Programm, die sich vor allem stilistisch vom Üblichen abhebt. (…)

Ich muss zusehends an mehreren völlig verschiedenen Projekten gleichzeitig werkeln. Das liegt daran, dass gerade das Feld der Lyrik in immer mehr Initiativen und Grüppchen fragmentiert. Als Lyriker begrüße ich diese gewachsene Vielfalt, andererseits muss man immer besser strukturiert sein, was Mehrfachnutzungen der eigenen Arbeit und effektive Ressourceneinsatz betrifft. Diese Vielfalt und Veränderlichkeit macht Planungen schwieriger, da sich mögliche Partner ebenfalls weniger gern längerfristig festlegen lassen, weil sie letztendlich ja vor dem selben Problem stehen. (…)

Der Trend des Buchhandels, auf weniger dafür teurere Bücher zu setzen, (in Vorderansicht präsentiert), mag zunächst den Umsatz steigern, arbeitet aber an der Krise des stationären Buchhandels mit, weil ein immer kleinerer Teil der vorhandenen Vielfalt im Laden abgebildet wird. Der Buchhandel als öffentlicher Ort für den Austausch über Bücher ist heute schon marginal. Eigentlich kann das Taschenbuch, früher ein Spezialmedium für große Auflagen, heute seine Qualitäten ebensogut und besser ausspielen als das bibliophile Objekt (Die haptisch-ästhetische Qualitäten bleiben ja erhalten, auch wenn man sie nicht eigens betont): Ein völlig zuverlässiger plattformunabhängiger Informationsträger für alle Gelegenheiten. Man kann ihn am Strand, in der Wanne, beim Wein verwenden, kann ihn sorglos verborgen, in der Kneipe liegengelassen … Dabei strahlt das Cover so viel Individualität aus, dass selbst der Besitzer des hippsten Appleprodukts vergleichsweise dagegen in einer breiten Masse untergeht. Insofern verleiht das Buch einem Text auch eine öffentliche Qualität, die ihm der Reader nicht bieten kann.

Alle diese Vorteile sind durch die relative Wertlosigkeit des materiellen Trägers bedingt. Insofern ich also eine andere Auffassung von der Funktionsweise des Mediums Buch habe als viele stationäre Buchhändler, stellen diese leider nur bedingt natürliche Verbündete im Kampf gegen Giganten wie Amazon dar, mit denen ich nicht zusammenarbeite. Bedeutsamer ist die Netzöffentlichkeit. (…)

Mein Verlag wendet sich an ein gebildetes Publikum oder spezialisierte Vermittler (Fachbuchhandlungen, Kritiker mit besonderem Profil). In diesem Publikum ist eine nicht immer ganz begründete Haltung zu beobachten, die man in folgendem Satz zusammenfassen könnte: „Wenn es gut (relevant, wichtig) wäre, dann müsste ich davon bereits gehört haben.“ Als wie berechtigt sich diese Haltung auch immer ansonsten erweisen mag, führt sie doch oft dazu, dass Leute auf Neues nicht als mögliche Bereicherung zugehen, sondern zunächst ihre eigene Expertise als hinterfragt empfinden. Zum berechtigten Misstrauen „Da ist einer, der mir etwas verkaufen will“ kommt also noch ein emotionaler Missklang hinzu, der es weiter erschwert mit seinen Gegenständen durchzudringen.

In meiner Lyrik stellt sich mitunter ein ähnliches Problem. Hier werden Probleme der Verständlichkeit oder Zugänglichkeit nicht darauf zurück geführt, dass besondere Strategien am Werk sind, sondern lieber dem Autor als Mangel an Fertigkeit in die Schuhe geschoben.

www.reinecke-voss.de

www.planetlyrik.de/bertram-reinecke-sleutel-voor-de-hoogduitsche-spraakkunst/2012/03/

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