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Jan Kuhlbrodt
Leipzig, den 28. März 2013
Offener Brief an den Leipziger Journalisten Ulf Heise anlässlich seines Artikels in der Chemnitzer Tageszeitung Freie Presse vom 16. 02. 2013 (Die Mutter vom Prenzlauer Berg. Die avantgardistische Dichterin: Elke Erb wird 75 Jahre alt)
http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/KULTUR/Die-Mutter-vom-Prenzlauer-Berg-artikel8268533.php*
Sehr geehrter Herr Ulf Heise,
wir beide erinnern uns doch ziemlich genau, wie es in unserm Herkunftsland zuging, zumindest tue ich das, weil ich mit beiden Beinen tief im Sozialismus steckte und unter anderem mir folgender Sachverhalt Grund und Anlass war, mich aus dem Schlamm herauszuwühlen: Denunziation und Verunglimpfung gehörten zum politischen Stammvermögen der DDR-Literaturkritk und Kulturpolitik. Gut, Sie sagten mir einmal, dass Sie schon immer kritische Distanz zu wahren wussten. Und vielleicht ist es gerade diese Distanz, die Ihnen verbirgt, dass Sie auf ähnliche Art operieren wie die Lohnautoren im Geschirr der SED.
Was sie nicht kannten, gab es nicht, und was sie nicht verstanden, galt ihnen als Unverständnis. Ihr Unvermögen projizierten sie auf das was sie umgab. Die DDR war es, die die Ausbeutung der Arbeiter auf die Spitze trieb, in den Medien aber wurde berichtet, dass im Westen der Arbeiter ausgepresst würde.
Soviel nur zum Vorgehen der Presse früher, an das mich Ihr Artikel über Elke Erb erinnert. Ich mag hier nicht im Einzelnen richtig stellen, was Sie an Falschem berichten, das ist Sache des kritischen Lesers selbst, nur auf Einzelnes möchte ich aber aufmerksam machen.
Den ersten Absatz Ihres Artikels kann man getrost ignorieren, zumal er sich auf den allgemeinen Kritiker bezieht, den es genau so wenig gibt, wie den allgemeinen Menschen, und was Sie der Kritik unterschieben, ist Ihre persönliche Meinung, die Sie auf diese Weise zu verallgemeinern suchen.
Im Übrigen ging Elke Erbs Band Vexierbild in meiner Klasse, wir waren Abiturienten in Karl-Marx-Stadt, von Hand zu Hand. Es galt uns, wie zum Beispiel Fühmanns Traklausgabe, als Alternative zum staatsgelenkten Deutschunterricht. (Aber das können Sie natürlich nicht wissen.)
Im zweiten Absatz nennen Sie Jandl, Rühm und Artmann, und behaupten, dass Elke Erb deren Experimente auf die Spitze getrieben habe, indem in ihren Gedichten das Erzählen jetzt vollständig wegfalle. Das ist, mit Verlaub, Kokolores. Sie nennen drei Autoren mit völlig unterschiedlichen Ansätzen, die Sie offensichtlich nicht verstehen und deshalb als experimentell bezeichnen, und erklären Elke Erb zur Universalerbin. Was Elke Erb allerdings geerbt hat, Ist Ihr Unverständnis, Herr Heise.
Das letzte Buch, das in Ihrem Artikel angeführt wird, ist von 1995. Sie kennen wahrscheinlich maximal den Titel, oder haben kurz hineingeblättert. Dass danach noch einige Bücher der Autorin erschienen sind, scheint Ihnen entgangen zu sein, und angesichts der Vielfalt des Werkes von Elke Erb von einem Buch als Hauptwerk zu sprechen, zeugt von Unkenntnis, Ignoranz und einem vollkommen rückständigen Literaturverständnis, einem Verständnis, das allerdings meine realismusfixierten Deutschlehrer in den Siebzigern größtenteils teilten. Insofern kann ich Ihren Artikel als Nachricht aus dem Gestern auffassen, in dem Sie allem Anschein nach weiterhin beheimatet sind.
Sie schreiben in ihrem letzten Absatz:
„Die bewusst zur Schau gestellte Außenseiterhaltung trug ihr früh Achtung im Zirkel der literarischen Revoluzzer vom Prenzlauer Berg ein. Bald galt sie in Berlin als “Mutter der Szene”*. …. Neuerdings werden aber Stimmen laut,** die die von ihr entdeckten und geförderten Talente als Vertreter der Pseudomoderne bezeichnen, die im Windschatten der Mauer nach leicht angestaubtem Muster Texte produzierten.“
Genau diese Diffamierungssprache haben Sie, wahrscheinlich unbewusst, von der DDR-Kulturpolitik übernommen. Begriffe wie Revoluzzer, Pseudomoderne, leicht angestaubte Muster, legen jedenfalls die Vermutung nahe, dass Sie eine durchideologisierte Sprache benutzen. Das ist, Herr Heise, für einen Journalisten beschämend.
Dass Sie Elke Erb als Autorin nicht schätzen, ist Ihre Sache, Herr Heise, aber einen solchen kenntnisfreien und unsachlichen Artikel zu schreiben, auch noch anlässlich eines 75. Geburtstages, ist für meine Begriffe unverschämt.
Mit besten Grüßen
Jan Kuhlbrodt
Quelle: Postkultur
Vielen Dank auch von mir, Jan Kuhlbrodt!
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Ah, in der Tat eine ungute, vergiftete ‚Würdigung‘ Erbs, die U. H. geschrieben hat, sehr schräg, stichelnd, boshaft. Für diesen Offenen Brief – Gegengift und Richtigstellung – auch von mir Dank.
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ich schließe mich an
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Dieser offene Brief ist ein Beispiel für politische Einmischung im besten Sinne. Danke Jan Kuhlbrodt.
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ich bin sehr froh, dass jan diesen offenen brief geschrieben hat und unterzeichne ihn hiermit, sozusagen.
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was einen ekelhaften pickel, verlaub, herr heise.
fron und hobel, poppelnd infama. im wedding
schwein als banane ertränkt. verlaub, herr heise
sie niessen nie wieder, oder es huscht!
gabs bei ihnen geburtstagstorte aus eisen,
verlaub, herr herr. wo steckt preussen?
sie gehören in den fahrstuhl, verlaub
kalte wickel. muschi verwinkelt,
haben drink haben marsyas gemästet.
rick reuther spricht von einer verlaub
ungesunden schnapatmung. jebem
ti mater jemen, kasachstan katar
wer hat ihnen in die suppe verlaub?
sie sind kein aufrechter genosse,
mon fred, soll ich ihnen mal gegen
den grabstein treten, heise verlaub?
welcher schnee ist hier verstaubt?
ich hau ihnen in der rumbalotte
mit dem metglas aufm hocker
überall herzlichem leder.
ich weiss nicht, wo sie ihr schwarzbrot kaufen
aber es verlaub es kackt. im wilden fron
warten die artigen attentäter, me gusta.
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