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Aber sobald man über Henri Thomas zu sprechen beginnt, befindet man sich zunächst in einem produktionsästhetischen Aufzählmodus. Denn da sind die etwa zwanzig Romane, die vielen Erzählungen, ein Dutzend Gedichtbände nebst Tagebüchern und Essais, und nicht zu vergessen: zahlreiche Übersetzungen aus dem Deutschen (u. a. Jünger, Goethe, Stifter, Kleist, Achim von Arnim, Brentano), dem Englischen (u. a. Shakespeare, Melville, Faulkner) oder dem Russischen (Puschkin). All das konnte ihn indessen über einen hartnäckigen Insiderkreis hinaus in Frankreich kaum nachhaltig bekannt machen. Leben und Werk beschreiben ihn als einen Aussenseiter des Literaturbetriebs – was im Übrigen auch nur eine abgedroschene Standardfloskel der Rezeption ist.
Auch sonst hielt man sich über Jahre hinweg – vorsichtig ausgedrückt – bedeckt. Deutsche Verlage stuften Thomas bei aller attestierten Wertschätzung als «schwierig» ein (eine Umschreibung für schwer verkäuflich). Vor vier Jahren wagte Suhrkamp mit dem bereits erwähnten «Vorgebirge» einen Vorstoss in Sachen Thomas-Übersetzung. Ein, wie sich herausstellte, durchsichtiges Unterfangen, in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass Paul Celan rund fünfzig Jahre zuvor den Grossteil der Übersetzung des mit dem Prix Femina ausgezeichneten Romans «Le promontoire» besorgt hatte (und sich kurz vor Fertigstellung mit dem Verlag überwarf). Entsprechend wurde mit dem Buch geworben: Auf der Banderole war Celans Name grösser verzeichnet als derjenige des Autors. / Thomas Laux, NZZ
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