1. Erich Fried Preis 2012 für Nico Bleutge

Der junge* deutsche Dichter Nico Bleutge erhält den mit 15.000 Euro dotierten Erich Fried Preis 2012 – so hat es in diesem Jahr der alleinige Juror, der Autor Lutz Seiler, bestimmt.

Die Preisverleihung findet am Sonntag, den 25. November 2012 im Literaturhaus Wien statt

Lutz Seiler in seiner Jurybegründung:

Bleutges Gedichte befreien die Natur im Gedicht von den üblichen metaphorischen Rahmungen; mit einem sanften, fein rhythmisierten Sprechen, das sich vom Schauen und Hören leiten lässt, erreicht er eine besondere, vollkommen eigene Bildqualität. Ich sehe in Bleutges Werk einen vielversprechenden Ansatz für die Erneuerung des sogenannten Naturgedichts; allerdings ist der Begriff ohnehin unbrauchbar, also besser: für die Erneuerung von Natur-Wahrnehmung in der Sprache des Gedichts.

Seine Gedichte öffnen dem Leser die Sinne, sie lassen ihn teilnehmen am Schauen und Lauschen. Zarte Konturen.

Man könnte sagen: Bei Bleutge geht es um Sprach- und Wahrnehmungszustände vor der Natur, in denen das Gedicht – das ist die Utopie, die diesem Schreiben innewohnt – einen authentischen, also von Vorurteilen und Wertkontexten freien Ausgang nehmen möchte.

Was mich an Bleutge überzeugt: Dass ich den (angenehmen) Eindruck habe, sein Text sei nicht vorrangig dem Willen zum Gedicht gefolgt, sondern nur sich selbst, das heißt dem Schauen und der es begleitenden oder anführenden Sprachschau. Die dieser Sprachschau innewohnende Diktion tendiert zur Prosa, was ich als Teil eines umfassenderen Bemühens verstehe, alles Avancierte und Ambitionierte, das die lyrische Gattung selbst schon mitzubringen scheint, zu vermeiden.

Seine Gedichte sind bis ins Detail ausgearbeitet, feinstes Gewebe.**

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*) wie lange gilt man als junger Dichter? Bis 50 vielleicht – da hat er noch 10 Jahre Zeit.

**) Die Sprache, mit der Gedichte belobt werden, hat oft etwas Auratisches. Einschüchterndes. Nicht beim Kritiker Bleutge, übrigens. Bei seinem Lobredner aber schon. So hält man den uneingeweihten Leser auf Distanz, Dilthey, Staiger hättens nicht besser gekonnt: „Seine Gedichte öffnen dem Leser die Sinne, sie lassen ihn teilnehmen am Schauen und Lauschen. Zarte Konturen.“  Im Unterschied zu anderen Autoren sind sie authentisch – „also von Vorurteilen und Wertkontexten frei“. Die Surrealisten machten das mit Schlafentzug oder Drogen, wie machts der Herr vom Huchelhaus? Immerhin übt er subtil Selbstkritik, wenn man das richtig heraushört. Was man bei dieser Sprache nie wissen kann.

Link: Seiler über Bleutge

15 Comments on “1. Erich Fried Preis 2012 für Nico Bleutge

  1. Ja ich wollte eigentlich mehr als einen Scherz gemacht haben, bloß nicht so viel schreiben. Brueterichs Meinung scheint mir ebenfalls nur dann ohne Argumentation einsichtig, wenn man die empirischen Plausiblilitäten und Handlungsmaximen vermischt. Empirisch: Hat man denn nie eine gelungene Jurykritik gesehen? Ich habe das schon. Wenn sie dennoch peinlich wurde: Liegt das am Kritisierenden oder daran, wie es aufgefasst wurde: Totschlagargument Neid auf der einen Seite, Totschlagargument überzogener Glaube an das Gute auf der anderen Seite.
    Ich sprach mich grad am Wochenende wie der obige Kommentar für mehr Transparenz aus, ging sogar soweit, Gruppenentscheidungsmodalitäten fragwürdig zu finden (sie hätten einen Zug zu mutlosen Entscheidungen). Das Gegenargument: Damit könne man aber die Menge der Preisgelder nicht erhöhen und die Entscheidungen blieben somit immer streitbar. Und damit schien Prof. Dr. Dieter Hasselbach alles Notwendige gesagt.
    Das mag ja sein, aber vielleicht wollte ich mich nur auf weniger peinliche Weise, nämlich unter der Einbeziehung von Fakten und Argumenten streiten dürfen. Ich wünsche mir, dass jemand dazu stehen muss: Ich habe das und das getan aus diesen und jenen Gründen.
    Der von Brueterich hineingemischte normative Teil scheint eine Handlungsmaxime zu sein, die da lautet: „Mische Dich in solche Streitereien nicht ein, das wird immer peinlich.“ Empirisch mag diese Maxime sich begründen lassen, aber sie verschweigt auch, dass es dann eben auch an anderen Stellen noch einiges Kritikwürdiges gibt, was bis zu einer falschverstandenen Loyalität der Bepreisten mit den Preisvergebern reicht (gilt hoffentlich nicht für Brueterich.) Prof. Dr. Haselbach hat mit seiner These recht, dass eine Kultur, die sich an die Wand gedrängt fühlt, dahingehend zum Konservatismus neigt, dass sie jedes der wenigen Unterstützungsinstrumente, die es noch gibt, für unverzichtbar erklärt (und deswegen vor Angriffen schützt.).

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  2. Einmal Zuhörer eines Preislesens erlebte ich, wie einer der nominierten Autoren fragen (bzw. fordern) musste, daß sich die Jury, unters Publikum verteilt sitzend, doch bitte zu erkennen geben möchte; sie war nämlich vom Veranstalter vorher nicht eigens vorgestellt worden, und keiner wusste also, wo das geheime Gremium, das später, den Presiträger ermitteln würde, Platz genommen hatte. Jury goes underground sozusagen. lyrikzeitung hat recht: es gibt da, wenn man denn will, vieles zu sagen.

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  3. ich verstehe, die frage bertrams ist ein philosophenscherz, auf den man vor laien nicht antworten muß. und ich verstehe, daß brueterich juryschelte nicht mag. dazu wäre einiges zu sagen, ich beschränke mich auf 3 punkte
    1. wo siehst du im obigen beitrag juryschelte? in meinem kleinen kommentar kritisiere ich die sprache der preisstifter (die einen 40jährigen einen jungen lyriker nennen) und des jurors, das kann man oben nachlesen. auf das werk des preisträgers gehe ich mit keinem wort ein (außer, zustimmend, auf sein literaturkritisches, wo ich meine und sage, daß er eine andere sprache führt als die salbungssprache, die ich in dieser begründung sehe).
    und die gedichtmontage von thomas kunst: woraus schließt du, daß sie juryschelte ist? mag sein, du hast diesbezügliche äußerungen von ihm gelesen: aber das gedicht ist nicht so eindimensional wie du unterstellst und verdiente einen zweiten und dritten blick. (welcher lyriker wollte sich nicht so eingehende leser wünschen? höchstens einer der von salbungssprüchen verwöhnt ist).
    2. die haltung, juryentscheidungen seien nicht zu schelten, geht wiederum mir total gegen den strich. sind wir papst? leben wir in einer absoluten monarchie? selbst dort gibt es widerspruch (wenn auch manchmal mit transargumentativen folgen). nein, alles darf befragt werden! alles muß befragt werden. „soviele antworten, so wenig fragen“, las ich vor äonen bei volker braun. darf das nur in der ddr gelten? manche preisvergeber verstecken die namen der jurymitglieder: wo gibts denn sowas? bei uns gibts das. liegts etwa daran, daß jurys über jahrzehnte alternierend und nicht selten auch überlappend mit immer demselben kleinen personenkreis bestückt sind? – manche literaturpreise wurden bisher ausschließlich (!! jandlpreis, artmannpreis, höltypreis, daniela seel wies vor kurzem hier darauf hin), die meisten weit überwiegend (büchnerpreis in 10 jahren nur 1 frau) an männer verliehen. das soll man nicht diskutieren dürfen? schelten dürfen? na aber! wo findet diese debatte statt? im großen feuilleton? seh ich nicht. man könnte viel mehr anführen. wir brauchen mehr debatte, auch mehr schelte!
    3. wieso unterstellst du mir gute absichten?

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  4. hat jetzt nichts mit diesem konkreten verleihungs fall zu tun!
    „Aber Jury-Schelte hat eben auch etwas enorm Peinliches, sogar oder gerade dann, wenn sie das Gute will. Stiftet Preise – und vergebt sie an die Besten! Oder an die Abgedrehtesten! Man muß es selbst in die Hand nehmen. Und womöglich kann man das sogar! “

    ich verstehe, was die sätze sagen aber es erschließt sich mir daraus (überhaupt) kein – warum? begründung, warum ist das in jedem fall und unabhängig dessen, weshlab sich elche aufregen oder ärgern oder enttäuscht sind usw. auch frustriert nur peinlich? man hat sich nicht in der gegenwart über juryentscheidungen + priessvergaben zu ärgern, aber auf der adneren seite lehrt uns die literaturgeschichte der neueren zeit und führt uns einige fälle vor, anhand derer sich kuriositäten offenbaren. und, vergleicht man die inzw. langen listen diverser renommierter preise stoßen wir auf viele namen, die wiede rmit ihren juroreren & gewissen trends + geschmäckern (bestimmt nicht alle zu recht) verschwunden, untergegangen sind.

    und vor allem „stiftet preise“ … das ist nun wirklich ein wuchtiges (gegen)argument, in seiner ganzen tragweite.
    (natürlich glauben dann alle oftmals, dass das der/die ist, an den sie ihn vergeben oder dass er/sie es am meisten verdient hat.)

    nun find ich leider nicht das zitat dazu, das ich suchte … aber stattdessen mache ich meinen ganz spontanen gedanken, der mir dabei/dazu kam öffentlich:
    keine schlechte idee! hab zwar wenig geld, aber vielelicht kann ich ja dann noch was sammeln und zusammenbekommen, aber weißt du (ich borg mir jetzt auch ein smiley), ob man frei in der auswahl des namens des preises ist? du kannst dir nun sicher denken wie & nach wem ich ihn benennen würde!

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  5. Lieber Brueterich, meinst Du Deine Aussage über Juryschelte eigentlich eher als empirischen Befund oder als normative Feststellung? (Smily borge ich vom Vorredner.)

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  6. Irgendwas geht mir hier gegen den Strich. Lutz Seiler hatte zu entscheiden und zu begründen. Das hat er getan. Beides muß einem nicht gefallen (mir gefällt es ziemlich gut, aber das spielt überhaupt keine Rolle!), doch man sollte es – glaube ich – respektieren. Seit der Thomas Steinfeld bei der Süddeutschen ist, nennt er bei jeder Büchnerpreis-Vergabe zehn AutorInnen, die ihn (den Preis) seiner Meinung nach mehr verdient hätten. Klar. Ich wüßte selbst zumindest immer einen. Aber Jury-Schelte hat eben auch etwas enorm Peinliches, sogar oder gerade dann, wenn sie das Gute will. Stiftet Preise – und vergebt sie an die Besten! Oder an die Abgedrehtesten! Man muß es selbst in die Hand nehmen. Und womöglich kann man das sogar! Ende.

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  7. danke: michael: für deine anmerkungen zum lobredner. ich hätte meine ersten beiden
    auch eher darüber schreiben sollen. (selbstkritik)

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  8. schnee, anleihen von schnee,
    geruch von eingeritzter luft, dezember hält farbe
    für mildes verzögern, winzige spuren an den
    rändern der augen, helle dünungen, was linien enteist,
    entscheidet die see, im nebel, wilder reminder, die
    segel der winter, gerafft, getrübte strömung
    landein, im fenster die gischt, die fläche von
    hauchdünnen stimmen: sichtbarer
    schnee.

    für nico bleutge (das gedicht folgte nur sich selbst)

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