118. Paradoxon der Übersetzung

Die Lebendigkeit und Präzision, die ich mit dem Bild auf dem Umschlag assoziiere, findet sich in allen Gedichten wieder; mit Miron Białoszewski hat der Verlag nach Aloysius Bertrand und Georg Hoprich erneut einen Autor der Vergessenheit entrissen, der nie hätte in Vergessenheit geraten dürfen; und die Übersetzung ist ganz wunderbar. Wenn ich dieses Urteil auch nicht auf Kenntnis der polnischen Sprache gründen kann (die ich leider nicht einmal auf Touristenniveau beherrsche), so kann ich doch beobachten, dass in den Gedichten nirgends ein falscher Ton zu finden ist, keine klapprige Unbeholfenheit, kein gestreckter oder gestauchter Vers, wie es oft in Übersetzungen vorkommt, vielleicht in manchen Übersetzungen mit mehr dokumentarischer Absicht vorkommen muss. Kraus übersetzt, als habe sie genau dieses Gedicht eben selbst schreiben wollen. Mehr mehr, schreit der Leser und wünscht sich zugleich, er könnte die Gedichte auch im Original lesen (Notiz an mich selbst: untersuche dieses Paradoxon der Übersetzung, dass, je besser die Übersetzung auf eigenen Füßen stehen kann, desto stärker der Leser sich wünscht, auch den Originaltext zu verstehen). / Dirk Uwe Hansen, lyrikkritik.de

Miron Białoszewski „Wir Seesterne“. Gedichte, polnisch und deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Dagmara Kraus, Verlag Reinecke & Voß:

9 Comments on “118. Paradoxon der Übersetzung

  1. ein nachtrag aus sicht eines mehrsprachigen: es gibt sehr wohl echte zwei- und mehrsprachigkeit und dementsprechend also auch übersetzer/inn/en, die sich in ursprungs- und zielsprache gleichermaßen bewegen können. mir ist bewusst, dass dies von nicht-multilingualen menschen oft angezweifelt wird. (wobei sprachkompetenz etwas dynamisches ist, das sich abhängig von biographischen rahmenbedingungen immer wieder in die eine oder andere richtung verschiebt). für das übersetzen ist zweisprachigkeit aber, andré rudolph sagt es bereits, keineswegs notwendig, und sie bewahrt niemanden davor, mittelmäßige oder schlechte übertragungen hervorzubringen.

    die problematik des kontaktverlusts zum aktuellen sprachgebrauch und zum soziokulturellen umfeld der ursprungssprache hat nichts mit zwei- oder mehrsprachigkeit zu tun. es ist lediglich eine frage der sorgfalt, sich die spezielle sprachausprägung und den kontext des zu übersetzenden textes zu erschließen, ganz egal ob historisch oder aktuell und ob man die sprache von klein auf oder erst später erlernt hat.

    die ursprungssprache als native speaker zu beherrschen bringt vielleicht ein paar geringfügige technische vorteile: man (ich spreche hier sowohl von eigenen als auch von zugetragenen erfahrungen) vermeidet eventuell den einen oder anderen verständnisfehler und tut sich für gewöhnlich leichter, anspielungen und zitate zu erkennen, weil man im prinzip mit demselben literaturkanon wie die autorin/der autor aufgewachsen ist. andererseits kann zweisprachigkeit aus einer art befangenheit heraus manchmal sogar kontraproduktiv sein, weil man sich aus sprachlicher identifikation zu absoluter treue verpflichtet fühlt. es entstehen dann zwar äußerst »richtige«, aber eben auch sehr steife oder blasse übersetzungen.

    nützlich ist mehrsprachigkeit eher auf einer allgemeineren ebene, weil ihr das urerlebnis der grundsätzlichen unübersetzbarkeit sprachlicher äußerungen zugrunde liegt. insofern kann sie hilfreich sein, wenn es darum geht, für sprachliche makrophänomene wie melodie, rhythmus, tonlage, stilebene o.ä. in der zielsprache analoge strukturen zu finden statt schemata zu reproduzieren oder sie aus not zu vernachlässigen. letztlich geht es ja darum: das verhältnis von dissonanzen und harmonien, von turbulenzen und regelmäßigkeiten aus der einen sprache in die andere irgendwie hinüberzuretten. und das ist ganz gewiss kein privileg der bilingualen.

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  2. Ist es denn nötig, sich als Übersetzer in der Ausgangs- und Zielsprache gleich gut bewegen zu können? Wünschenswert, denke ich, wäre es, die Ausgangssprache so gut zu verstehen, dass man semantische Mehrdeutigkeiten überwiegend findet, ‚Irregularitäten‘, die möglicherweise auf Zitate, Anspielungen, Idiomatik etc. hindeuten, als solche erkennt und ggf. recherchiert, soviel (sprach/literar)historischen Kontext hat, dass man für das ‚kulturelle Setting‘ des Textes nicht ganz blind ist. Und das heißt, die Sprache schon ziemlich gut kennen, aus der man übersetzt. Heißt aber noch lange nicht, dass man sich auch schon gleich gut in ihr ‚bewegt‘. Das scheint mir fürs Übersetzen durchaus keine notwendige Voraussetzung zu sein. – Ich habe noch nie auf einer Interlinear-Grundlage übersetzt, würde das auch nicht wollen, und bei den paar Sachen aus dem Englischen hatte ich immer das Gefühl: eigentlich reicht dein Englisch nicht hin, um dieser komplexen Veranstaltung (Gedicht) gerecht zu werden. Freilich gibt es ja auch Beispiele für ‚gelungene‘ Übersetzungen auf Interlinear-Basis…

    Ich finde die Bialoszewski-Übersetzungen von Dagmara Kraus auch überwiegend gelungen und habe hohen Respekt vor dem Wagnis, das hier eingegangen wird. Vielleicht spielt es eine Rolle, dass der Autor der Übersetzerin vermutlich liegt, sein Sequenzieren, sein analytisches Schreiben. (Womit keinesfalls gesagt sein soll, Kraus schreibe selbst ‚ähnlich‘.) Ich denke aber nicht, dass das Problem des ‚Glättens‘ hier vordergründig relevant ist. Warum sollte man ausgerechnet bei einem Autor, bei dem Techniken des Bruchs poetologisch überaus zentral sind, der Versuchung zum ‚Glätten‘ erliegen. Es ist in diesem Fall wahrscheinlich sogar so, dass die im Text inszenierten Brüche das Übersetzen ‚irgendwie‘ begünstigen. Vielleicht, dass sie den Kohärenzdruck mindern, ich weiß es noch nicht genau.

    Gleichwohl merkt man an vielen Stellen, dass die komplexen Sprachspiele Bialoszewskis eine brutale Herausforderung für den Übersetzer sind, dass immer wieder Entscheidungen für eine Möglichkeit notwendig zu treffen sind, wo das Original mehrere Möglichkeiten setzt, deren ‚Vernetzung‘ den Text vorwärtsträgt und motiviert. Solche Entscheidungen sind dann eben auch angreifbar. Und es findet sich einiges in diesem Band, das wohl ‚mit Recht‘ angegriffen werden kann. – Gut gelöst ist es insgesamt trotzdem. (Rezension folgt, wenn auch nicht auf dem Fuße.)

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  3. ich glaube nicht, dass es übersetzer gibt, die sich in der ursprungs und zielsprache gleich gut bewegen können, hab auhc noch keine getroffen, also nicht nicht welche, die nicht in beide richtungen übersetzen (… das letzte beispiel, schon fragwürdig und recht eigenartig verwunderlich, wie ich anhand der kompententen ausführungen so einiger anglisten und lit.wiss. erfahren durfte, die übersetzerin von les murray, wobei für mich auch manche texte im originall nicht gerade die offenbarung darstellen -geht nicht um schlüssigkeit oder eigenwilligkeiten): vielleicht paar von anfang an zweisprachig aufgewachsene, aber auhc da kommt es eher darauf an, wo sie dann aufgewachsen sind.
    was mich interessiert – bei sehr melodiösen, rythmisierten, gereimten gedichten, wie zb. der symbolisten, hatte ich oft den eiindruck, dass die übersetzungen da immer ein angleichen an i dt. durchgesetzte und bekannte gedichtmodelle darstellen, an den tonfall bekannter einheimischer dichter rühren oder wie die klingen – läßt sich das vermeiden?

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  4. Das hier verspricht, eine interessante Debatte zu werden; und doch ist mir unbehaglich zumute, solange wir sie nicht von ihrem eher zufälligen Anlass trennen. Also: es war sicher anmaßend von mir, wertend über eine Übersetzung zu sprechen, die ich nicht beurteilen kann. Und auch ich kenne das Phänomen, dass (und die Versuchung, als) Übersetzer (zu) glätten, was im Original sperrig zu sein scheint. Ich habe stillschweigend vorausgesetzt, dass Dagmara Kraus dieser Versuchung nicht erlegen ist. Wer ihre Gedichte (z.B. im poetenladen) gelesen hat, wird sich dieser Meinung wohl anschließen. Bleiben wir also dabei, dass Bialoszewskis Gedichte in der deutschen Version ganz wundervolle Gedichte sind, dass ich an keiner Stelle den Einduck habe, hier gebe es eine Unbeholfenheit, die der Übersetzung geschuldet ist, und dass ich daraus den Schluss ziehe, dass Kraus eben eine sehr gute Übersetzerin ist. Wenn ich für diesen Schluss keine besseren Indizien anführen kann, liegt das an mir und kann und darf nicht der Übersetzerin angelastet werden.
    Punkt.
    Die Indizien, die ich in der Besprechung angeührt habe, stammen aus meiner Erfahrung mit Übersetzungen (eigenen und fremden), die ich beurteilen kann, also Übersetzungen aus dem Lateinischen und hauptsächlich dem Altgriechischen. Spannend finde ich, dass sie sich offenbar nicht universell anwenden lassen. Oder wenigstens nicht so einfach, wie ich angenommen habe. Gibt es überhaupt universelle Kriterien, an denen man wahrscheinlich machen kann, dass ein Text übersetzt worden ist? Können wir es erkennen, wenn eine gefällige Oberfläche in der Übersetzung dadurch entstanden ist, dass der Übersetzer einen Bruch in der Oberfläche des Originals geglättet hat? Gibt es überhaupt Übersetzer, die sich in Ursprungs- und Zielsprache gleichermaßen natürlich bewegen können? Hierüber würde ich gern diskutieren.

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  5. unberufen erliege ich der versuchung grundsätzlich – also nicht auf dieses buch, autor, übersetzer bezogen! – einzuwerfen:
    habe selber bei einigen übersetzten gedichten stellen „geglättet“. es waren fälle, in denen ich die autoren kannte und teilweise die enstehtung der texte miterlebt habe – was unter welchen begleitumständen wie zustande kommen bzw. ausfallen kann.
    man oder ich zumindest tat das unter dem impuls & der befürchtung, dass sonst gewisse ungereimtheiten, schnodriges oder allzu genialisches, auhc vielleicht (unter der wirkung diverser einflüsse und lebens-situationen) nicht genügend durchdachtes am übersetzer hängen bleibt, ihm zugeschrieben wird!

    ein anderer aspekt: 2 ungarische gegenwartsautoren, (eine sprache die ich nicht so beherrsche, aber eine ahnung davon habe, mitbekommen habe, welche facetten, unter- & hintergründe, sowohl kulturelle reichweite wie auch humoristisch-sarkastisch-groteske + absurde auswüchse gewisse redewendungen im alltag haben) Parti Nagy Lajos oder Kukorelli Endre … die mir bekannten dt. übersetzungen bringen davon kaum etwas rüber, wirken eher korrekt unlebendig, meinetwegen wortgetreu, aber der kontext auf den die gedichte rekurrieren, verarbeiten … beinhalten ist kaum adäquat widergegeben vielelicht auch nur sehr schwer wenn überhaupt widerzugeben.

    was ich auch aus eigenem (mit)erleben kenne, inzwischen, dass personen, die aus einem anderen land stammen, mit einer anderen erstsprache aufgewachsen sind, und das in einem gewissen, frühen, (schul)alter verlassen haben, diese sprache zwar sehr wohl noch beherrschen können und auch über die semantischen wortfelder und konnotationen bescheid wissen, aber sie kennen die spezifischen traditionen, alltagsjargon und einiges dessen, das sich im ursprungsland abgespielt, eine rolle gespielt hat, kaum noch oder nicht mehr … auf jeden fall weniger, als die entsprechenden phänomene der zielsprache, in die sie übersetzen; mit/in der sie danach leben und in deren bereich sich ihre kulturelle entwicklung vollzog.

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  6. Misstrauen streuen? Mitnichten! Auch sonst nichts in der Art. Sorry fürs Falschverstandenwerden.
    (Bauschen wir’s nicht weiter auf.) Alles Gute dem Band, sowieso!

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  7. Lieber Hinweis. Also der Titelei oder der Verlagshomepage oder auch der Rezension kann man entnehmen, dass es sich um Übersetzungen handelt. Hmm nun frage ich mich, wie Ihre Frage zu Stande kommt. Sie unterstellt ja, dass es sich gegen allen Anschein gar nicht um Übersetzungen, sondern vielleicht um eine Mystifikation oder sowas handelt? Wie kommen Sie darauf? Wenn Sie polnisch können, dann können Sie ja das Buch lesen und diese Frage prüfen. Oder besitzen Sie es bereits und dies sollte ein (reichlich verquerer) Einstieg in eine Diskussion sein, weil Ihnen vielleicht die eine oder andere Stelle nicht ganz so gefallen hat? Es würde mich sehr interessieren dies hier zu diskutieren. Da wären dann nun Sie dran. Bis dahin muss ich annehmen, Sie wollten nur ganz allgemein etwas Misstrauen streuen.

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  8. So gibt es also in Gedichten keine klapprige Unbeholfenheit, keine gestreckten oder gestauchten Verse? Nur perfekte Originale?

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    • „… wie es oft in Übersetzungen vorkommt.“ nicht: ausschließlich in Übersetzungen. Indiz also, nicht Beweis. Auch gibt es spezifische Arten des Holperns und Klapperns und Streckens, die ich häufiger in Übersetzungen als in Originalen finde (da, wo ichs beurteilen kann).
      Übrigens beantworte ich Fragen (denn die Frage ging ja wohl an mich) lieber dann, wenn der Fragende einen Namen nicht nur hat, sondern ihn auch nennt.

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