Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Veröffentlicht am 1. April 2010 von lyrikzeitung
Der populistisch hohe Ton dieser Sätze wirkte ähnlich befremdlich wie die implizit arrogante Gelassenheit der Erscheinung. Die Abbildung erlaube, fand der Bostoner Bildungsbürger, Harvardprofessor und Feuilletonist Charles E. Norton, eine genauere Einschätzung des Autors, der sich über Kleidungsvorschriften ebenso hinwegsetzte wie über Rhythmus, Reim und angemessenen Sprachgebrauch – «a curious and lawless collection of poems» nannte er die Sammlung, in der hingegen Ralph W. Emerson einen sicheren dichterischen Impuls erkannte. In London wunderte sich George Eliot, dass die «transatlantic critics» in derart ungeschliffenen Gedichten den Beginn einer neuen lyrischen Tradition sahen. …
Statt mit «Grashalme» hat Jürgen Brôcan den Titel wortgetreu mit «Grasblätter» übersetzt und so etwas von der poetischen Verfremdung des Originals herübergerettet. Auch sonst bleibt Brôcan, dem man schon Übersetzungen von Robinson Jeffers und Marianne Moore verdankt, nahe am Original und findet einen sprachlichen Mittelweg zwischen Ernüchterung und Pathos, zwischen banalen und gehobenen Ausdrücken, zwischen modernem und archaischem Vokabular, so dass er den komplexen Registerwechsel und den besonderen Rhythmus des Englischen erhält und dennoch eine geschmeidige deutsche Fassung gestaltet. / Stefana Sabin, NZZ 20.3.
Walt Whitman: Grasblätter. Übersetzt von Jürgen Brôcan. C.-Hanser-Verlag, München 2009. 880 S., Fr. 65.–.
Kategorie: Englisch, USASchlagworte: Charles E. Norton, George Eliot, Jürgen Brôcan, Ralph Waldo Emerson, Stefana Sabin, Walt Whitman
Kann zu diesem Blog derzeit keine Informationen laden.
Neueste Kommentare