33. Heimatloser Europäer

Eine Motte, die sich nach einem Stern verzehrt: So hat Charles Baudelaire den unglücklichen Dichter beschrieben. Den tragisch scheiternden Träumer im Allgemeinen, der in seinem Scheitern nahezu unmerklich die grotesken Züge einer Witzfigur annimmt, die sich dem Himmel schon nah wähnt, nur weil sie ihn als Spiegelbild in einer Regenpfütze erblickt. Und Edgar Allan Poe im Besonderen, den einsamsten Dichter der Neuen Welt, den – auf immer – verlorenen Sohn Amerikas, für den es niemals Wiederkehr gibt. Anders als der Anglist Hans-Dieter Gelfert, der Edgar Allan Poe nun eine schmale Überblicksdarstellung gewidmet hat, wusste Charles Baudelaire diesen amerikanischen Fürsten der Finsternis zutiefst zu verstehen: Weil er sich selbst in diesem wiedererkannte.

Poe war zugleich Meister, Virtuose des Deliriums, als Literat, und er war dessen wehrloses Opfer, zumindest als Quartalssäufer, vielleicht sogar als ein klinisch Kranker. Während seine amerikanischen Zeitgenossen aufbrachen, um den noch unbekannten Westen ihres weiten Landes zu erschließen, hat er in seinen Schriften die abgelegenen Grenzregionen der Trunkenheit, des Rauschs, der Raserei in all ihren Spielarten und Abarten erkundet. Insofern mag man ihn vielleicht, wie es mitunter allzu leichtfertig geschieht, als einen anderen amerikanischen Pionier aus der Pionierzeit Amerikas sehen, obwohl es viel naheliegender ist, ihn mit T.S. Eliot als einen heimatlosen Europäer zu verstehen. Genau so hat ihn natürlich auch Baudelaire beschrieben, der das Unglück Edgar Poes nicht allein auf jene ohnehin unerfüllbare, und darüber hinaus auch noch selbstzerstörerische Sehnsucht der Motte nach einem Stern zurückführte, sondern auf sein völlig deplatziertes Dasein in der Neuen Welt, die gerade in jener Phase – im zweiten Drittel des 19. Jahrhundertes – wie besessen war von jener typischen Melange aus Pragmatismus, Puritanismus und Patriotismus, die sie sich selbst und der restlichen Welt am liebsten in perverser Überdosierung verabreichte. In Europa, so Baudelaire, in Deutschland oder Frankreich besonders, hätte er zumindest ein paar Freunde gefunden. / MANFRED SCHWARZ, SZ 30.12.

HANS-DIETER GELFERT: Edgar Allan Poe. Am Rande des Malstroms. C. H. Beck Verlag, München 2008. 240 Seiten, 19,90 Euro.

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