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Ingeborg Bachmann, seiner intimen Freundin und Kollaborateurin, deren Gedichte er vertonte, so wie die Schriftstellerin den Komponisten ihrerseits mit Libretti versorgte, erzählte Hans Werner Henze einmal brieflich die Anekdote, wie Giuseppe Verdi nach schweren Schicksalsschlägen aus tiefster Depression zu neuem Leben erwachte: Der Intendant der Mailänder Scala wollte ihm für die laufende Saison noch unbedingt ein Opernlibretto aufdrängen, doch Verdi lehnte ab, wollte das Libretto nicht einmal lesen und warf es zu Hause wütend zu Boden. „Zwei Tage später, als er noch verzweifelter war, fiel sein Blick unversehens auf das nach wie vor am Boden liegende Libretto. Als er sich bückte, um es aufzuheben, sah er den Text eines Chores, der mit den Worten begann: ,Va pensiero, sull“ali dorate (Flieg“ Gedanke, mit goldenen Flügeln)“ – und beinahe unbewusst setzte er sich ans Klavier und komponierte diesen Chor, der heute eine Art Nationalhymne ist . . .“
Die Anekdote bezeugt den ambivalenten Status einer literarischen Textsorte, der gewöhnlich weder von Seiten des Publikums noch der Wissenschaft besondere Wertschätzung zuteil wird. Dabei ist der Weg vom Wort zum Ton, wie steinig und dornenreich auch immer, ein ästhetischer Urgrund aller Kunstübung, bereit für unerwartete Wendungen und überraschende Abenteuer. Doch so sehr die Worte und die Töne im Ursprung aller lyrischen wie dramatischen Kunst noch zueinanderfanden – alle Dichtung entstammt dem Gesang, auch die Texte antiker Tragödien wurden bei den Griechen gesungen -, so ist ihr Zusammensein, seitdem jede Geschwisterkunst ihre eigenen Wege geht, doch so prekär und problematisch geworden wie nur das Verhältnis von Mann und Frau oder von Henze und Bachmann. …
Bleibt die Gegenwart, die mit Dokumenten der Zusammenarbeit des Lyrikers Durs Grünbein und des Komponisten Johannes Maria Staud für die Oper „Berenice“ präsent ist. In einer Notiz des Librettisten heißt es, der „Urkonflikt zwischen Wort und Musik“ werde vom Text demonstrativ vorgeführt. Dieser Urkonflikt gleicht wieder dem Geschlechterkampf: Die Verse unter dem Titel „Entre nous“, die Grünbein auf die Rückseite eines Programmblatt kritzelte, sind dem Tonsetzer zugeeignet: „Hör zu: Ich mach, was du willst. / Wenn auch nicht alles. / Ich fress dir aus der Hand. / Das letzte Krümel bleibt dir. / Du komponierst diese Oper. / Ich werde dir hörig sein – soweit ich diese Töne wieder-erkenne.“
Die Drohung, den Liebesbund auch wieder aufzulösen, ist inbegriffen. / VOLKER BREIDECKER, SZ 26.8.
„Das Libretto. Vom kleinen Buch zur großen Oper“. Museum Strauhof, Augustinergasse 9, Zürich. Bis zum 6. September. Info unter http://www.strauhof.ch.
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