78. Peter von Matts Verdichtungskunst

Deshalb ist es besonders schwierig, die kurzen Texte der Lyrik auch kurz zu interpretieren. Es bedarf dazu einer eigenen exegetischen Verdichtungskunst. Als Beiträger zu der von Marcel Reich-Ranicki begründeten «Frankfurter Anthologie» führt Peter von Matt sie seit mehr als 25 Jahren eindrucksvoll vor. Die Not der Einschränkung – der Interpret muss mit rund 500 Wörtern auskommen – gebiert die Tugend der schlackenlosen, pointierten Sprache. Von Matt schreibt knapp, prägnant und arbeitet selbst immer wieder mit Stilmitteln der Poesie. So lässt sich eine Motivgeschichte in fünfzehn Wörtern geben: «Erotische Lockwesen tragen Namen mit L. Lola, Lili, Lulu, Lolita, Loreley. Den Anfang machte Lilith.» Oder die Charakteristik eines Gesamtwerks in zwei Sätzen: «Jedes Eichendorff-Gedicht ist ein Bannspruch. Jedes beschwört und bespricht rituell einen Schmerz, der mit dem Leben selbst gegeben ist.» Das Hintergrundwissen vermittelt von Matt in einfachen, gemeisselten Sätzen dieser Art. Selten hat wohl jemand den Anspruch des «Klassischen», fernab von aller staubseligen Preisung «ewiger Kunstschätze», so bündig formuliert: «Das Klassische ist eine Erfahrung. Sie besteht im plötzlichen Wissen: Hier ist etwas, das immer gilt.» / Manfred Koch, NZZ 14.7.

Peter von Matt: Wörterleuchten. Kleine Deutungen deutscher Gedichte. Carl-Hanser-Verlag, München 2009. 220 S., Fr. 31.90.

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