81. Pier Paolo Pasolini

Eine verkehrte Geschichte, eine verdrehte Geschichte, eine verstellte Geschichte: Mehr als drei Jahrzehnte nach dem grausamen und bis heute nicht restlos aufgeklärten Tod des Poeten im Schmutz der vor den Toren Roms gelegenen Hafenstadt Ostia ist sein Name noch immer gegenwärtig. Nicht aber mehr sind es jedoch seine Dichtungen, obwohl sie zum Schönsten gehören, was das vorige Jahrhundert an lyrischer Poesie hervorgebracht hat: „E quale forza nel voler mutare / il mondo – questo mondo perduto / in malinconie, in allegrie pasquali…“ („Welche Kraft liegt im Wunsche, / die Welt zu verwandeln, zu erlösen / aus Schwermut zu österlichen Freuden . . . „).

Man stelle sich einmal vor, von Dante Alighieri sei nur noch das Prosawerk greifbar – und auch dieses nur unvollständig -, nicht aber mehr das große Versepos der „Divina Commedia“ und die Lyrik. Im sonst so italienfreudigen Deutschland ist eben dies die desolate Editionslage des Werks von Pier Paolo Pasolini (1922-1975). Hier ist trotz früherer Ausgaben und vorhandener Übersetzungen seit Jahren keine einzige Auswahl oder Sammlung seiner Gedichte im Buchhandel mehr lieferbar, was eine Schande ist, die man gar nicht genug beklagen kann.

Aber auch Italien scheint mit „il poeta Pasolini“, wie die Trauerrede des Freundes und Kollegen Alberto Moravia gewiss nicht nur der Alliteration wegen prononcierte – damals, als Tausende von Menschen dem Sarg mit dem von brutaler Gewalt bis zur Unkenntlichkeit entstellten Leichnam durch die verstopften Straßen der römischen Altstadt folgten -, eine ganze Tradition zu Grabe getragen zu haben: Seit den Tagen Dantes galt ihr der Dichter als eine persona publica, die auf gleicher Augenhöhe mit den Mächtigen an einer öffentlichen politischen Kultur teilhat.

Diese liquidiert und durch die telekratische Seifenoper ersetzt zu haben, ist das Resultat der Ära Berlusconi, die einschneidender und irreversibler noch als die faschistische Ära ist, welche mit Mussolinis Abtritt so rasch zerplatzte, als habe es sie nie gegeben. / VOLKER BREIDECKER, SZ 11.5.

Pier Paolo Pasolini „Wer ich bin“. Bis zum 1. Juni im Museum Strauhof, Zürich, Augustinergasse 9; http://www.strauhof.ch. Anschließend (14.6.- 6.9.) im Centre Dürrenmatt Neuchâtel; danach (17. 9. – 22.11.) im Literaturhaus und Käthe-Kollwitz-Museum Berlin

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