137. Regulierung

Metaphern aus der Finanzwelt scheinen naheliegend. Voilà:

Wenn das literarische System ordnungsgemäß funktioniert, fließen Poesie und poetisches Kapital frei zwischen Lesern und Schreibern hin und her und bilden den produktiven Teil der Kultur. Wenn vergiftetes Gedichtkapital das System blockiert, kann die Vergiftung des Literaturmarkts unseren Kultureinrichtungen irreparablen Schaden zufügen.

Bekanntlich brachten laxe Kompositionspraktiken seit Eintreten der Moderne verantwortungslose Dichter und Leser mit sich. Einfach ausgedrückt, zu viele Dichter schrieben Arbeiten, die sie nicht verantworten konnten. Jetzt sehen wir die Auswirkungen auf die Lyrik in massiven Vertrauensverlusten seitens der Leser. Was als Problem suboptimaler (subprime*) Lyrik auf faktisch unregulierten Lyrikwebseiten begann, hat sich auf die stabileren Felder literarischer Zeitschriften und Verlage ausgebreitet und zu exzessiven Lyrik-Überbeständen geführt, die den Kursverfall bei verantwortungsbewußten Gedichten verursachten.

Die Dichter haben zu große Risiken übernommen; die ästhetische Verwilderung ist groß. Das Zeitalter der Dekadenz muß zu einem Ende kommen; Übersicht und Regulierung beim Verfassen und Verbreiten von Gedichten müssen Pflicht werden.

Wir sind davon überzeugt, daß es gelingen wird, unseren kulturellen Sektor zu stabilisieren und das Vertrauen der Leser in die amerikanische Literatur wiederherzustellen, sobald die faulen und schädlichen Gedichte vom Markt genommen werden. Damit die Transaktion erfolgreich verläuft, werden wir alle nach 1904 geschriebenen Gedichte vom Markt nehmen.

/ Charles Bernstein, Harper’s 09

 

*) subprime: vom prime, erstklassig; von der Börse Düsseldorf zum „Börsenunwort des Jahres“ ernannt

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