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Unter Frühlicht geben sich die unausgeschöpften Potentiale der Moderne noch beinahe lupenrein zu erkennen. … Zum bevorstehenden 700. Geburtstag des schon bei seinem letzten runden Jubiläum als „Vater des Humanismus“ zu Tode gefeierten Dichters Francesco Petrarca – er wurde am 15. Juli 1304 im toskanischen Arezzo geboren –, hat Stierle ein Buch von fast 1000 Seiten vorgelegt. … Der Schatten Walter Benjamins, der über Stierles Schreibtisch lag, ist ohnehin an vielen Stellen des Buchs präsent, zumal sich die berüchtigte „Aura“ auch zum feinsinnigen – schon von Petrarca selbst gepflegten – Wortspiel mit dem Namen der Laura eignet. …
Das Buch erfordert geduldige Leser, die bereit sind, gemeinsam mit dem Autor ein gehöriges Stück buchstabengetreuer Mimesis an Petrarcas „Poetik des pensare“ zu betreiben eines Denkens vornehmlich in den Bedeutungsfeldern des Gehens und Umherschweifens, auch auf manchen Umwegen und Abwegen. Längere Durstrecken sind dafür der Preis, doch sobald sie überwunden sind, wird man bei Stierle reich belohnt und betritt allenthalben „di pensier in pensier, di monte in monte“ weite Landschaften des Geistes mit chiare, fresche et dolci acque. Ohnedies gehört zu den Glanzstücken des Buchs, was Stierle über Petrarcas Landschaften, seine Lyrik und seine „Kunst der freien Gedankenbewegung“ schreibt. Da „der deutsche Leser Petrarcas“ nach Stierles Urteil „bisher nur schmale Kost bekommen“**) hat, entschädigt die dichte Lektüre entlang der Petrarcaschen Texte und deren ausgiebiges Zitieren „durchgängig im lateinischen oder italienischen Original mit deutscher Übersetzung“ ein wenig für die mangelnde Greifbarkeit und sprachliche Unzugänglichkeit der Werke. … So weit reichte Petrarcas sinnendes Gehen: I’ vo pensando. / VOLKER BREIDECKER, SZ 24.1.04
KARLHEINZ STIERLE: Francesco Petrarca. Ein Intellektueller im Europa des 14. Jahrhunderts. Hanser Verlag, München 2003. 973 Seiten, 45 Euro.
**) Wo Schmalhans Küchenmeister ist, da ist wünne vil – lang müez ich leben darinne
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