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Zu den Pionierinnen der Modernisierung in Iran gehörte Qurrat al-Ayn (1817-1852), eine Dichterin, die im Jahre 1848 ohne islamischen Hijab bei einer Versammlung einer revolutionären Gruppe erschien. Noch heute, mehr als 150 Jahre nach ihrer Hinrichtung durch den damaligen khadjarischen König, kann man ihre mystischen Liebesgedichte auch aus dem Mund einfacher Menschen hören. … Zu den kreativsten und meistgelesenen Dichtern zählt in Iran nach Ahmad Shamlu, der als iranischer Neruda bezeichnet wird, eine Frau, die Dichterin Forugh Farrokhzad (1934-1967). Ihre Gedichte üben nicht nur hinsichtlich ihrer Sprache und Form, sondern auch durch ihre Sicht auf die Welt und den Menschen seit mehr als vier Jahrzehnten auf mehrere Generationen grossen Einfluss aus. …
Nachdem Farrokhzad zunächst drei Sammlungen mit Lyrik in klassischer Form veröffentlicht hatte, ging sie zu freien Gedichten über und öffnete damit den Weg zu einer neuen Form moderner iranischer Dichtung. Ihre Innovationen in Bezug auf Form und Sprache fanden zahlreiche Nachfolger und Imitatoren. Mit einer Klarheit und Kühnheit, die in der persischen Sprache und der iranischen Geschichte ohnegleichen waren, zeichnet sie in ihren klassischen und modernen Gedichten ein Bild von den sozialen, emotionalen und sexuellen Bedürfnissen, Gefühlen und Wünschen iranischer Frauen. Insbesondere in ihren modernen Gedichten widmete sich Farrokhzad neben dem Protest gegen die Traditionen und die einengenden kulturellen, politischen und religiösen Tabus auch der Erforschung der Tiefen kollektiver Vorstellungen, den Labyrinthen der Kultur und existenziellen und philosophischen Fragen. Am Ende ihres kurzen Lebens – sie starb mit nur 33 Jahren bei einem Autounfall – verband sie in ihren Gedichten, die die modernste Tendenz in der iranischen Lyrik darstellten, ästhetische Werte und philosophische Fragen mit sozialer und politischer Kritik. / Faraj Sarkohi, NZZ 15.11.03
Außerdem in dieser NZZ-Beilage: Islamische Kalligraphie / Hugo Ball als Kabarettdichte
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