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In seinem ersten Drama wie in seinem ersten grossen Poem hat Wladimir Majakowski die futuristischen Postulate, die damals in zahlreichen Programmschriften mit revolutionärem Furor vorgetragen wurden, produktiv umgesetzt. Traditionsbruch, Innovationswille und Prioritätsanspruch waren auch für ihn die Voraussetzungen einer Dichtkunst, bei der es mehr auf das Sagen der Sprache als auf die Aussage des Autors ankam, die das «Wort als solches» – das Wort als Klangereignis oder als bildhaftes Skriptum – dem Wort als Bedeutungsträger vorzog, die den kühnen Reim ebenso wie die kühne Metapher kultivierte und die im Übrigen mit Gott und dem Zaren, mit Spiessern und Akademikern gleichermassen erbarmungslos ins Gericht ging. «Ich flehte, / fluchte, / das Messer zückte, / verbiss mich in Schenkel, / schrie permanent . . . / Vibriert meine Stimme / – ein rohes, tristes / Geläster – fortwährend / durch alle Säle, / schnuppert womöglich Herr Jesus Christus / am Vergissmeinnicht meiner Seele.» Scharfe Satire und larmoyantes Pathos, Witz und Zärtlichkeit, Dissonanz und Melos verbinden sich bei Majakowski zu einem unverwechselbaren lyrischen Parlando, dem kein Register zwischen Gassenhauer, Gebet und arationaler Wortakrobatik fremd ist. / Felix Philipp Ingold lobt und kritisiert Nitzbergs neue Nachdichtung zweier früher Werke Majakowskis. (Der Titel „Wolkchen in Hosen“ dient offensichtlich eher dem Originalitätsanspruch des Übersetzers als dem Werk Majakowskis! Ingold: „Wo der Übersetzer zu viel für sich selbst will, kommt in der Regel der Autor zu kurz.“) NZZ 16.11.02
Wladimir Majakowski: Tragödie Wladimir Majakowski / Wölkchen in Hosen. Russisch/Deutsch. Übertragen von Alexander Nitzberg. Urs Engeler Editor, Weil am Rhein 2002. 140 S., Fr. 25.-.
(Vgl. auch FAZ 11.11.02)
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