Ein Friedrich Hölderlin gewidmetes Gedicht des katalanischen Dichters Joan Vinyoli zu dessen 110. Geburtstag.
Joan Vinyoli i Pladevall
(* 3. Juli 1914 in Barcelona; † 30. November 1984 ebenda)
Hölderlin
Manchmal bezaubert mich noch
des rauhen Gipfels
klare Kontur,
abgehoben gegen des Himmels
diamantenes Licht.
An einer Stätte aber
voll Unterholz und Gestrüpp
wärmt mich mit schrägem Strahl
bereits die Nachmittagssonne.
Alten Marmor verwuchern
die dichter werdenden Schatten;
schon gänzlich abgeschieden
von den fröhlichen Wanderern, höre
ich die Oktoberblätter:
Sie fallen langsam und rot,
und grüner Eteu
wird gelb an der Mauer
meines undurchdringlichen Schweigens.
(1981)
Dem Katalanischen nachgedichtet von Uwe Grüning, aus: Ein Spiel von Spiegeln. Katalanische Lyrik des 20. Jahrhunderts. Katalanisch und deutsch. Hrsg. Tilbert Stegmann. Leipzig: Reclam, 1987, S. 121
Hölderlin
M'exalta de vegades
encara el net perfil
de la muntanya esquerpa
retallat contra el cel
de llum diamantina.
Però estic en un lloc
de bardissar i malesa
i ja el sol de la tarda
m'escalfa de biaix.
Vell marbre escrostonat
en l'ombriva espessor
apartat ja del tot
dels vianants alegres,
sento les fulles caure
d'octubre, lentament,
roges, i l'heura verda
tornar-se groga al mur
del meu opac silenci.
Ebd. S. 120
Heute vor 300 Jahren wurde Friedrich Georg Klopstock geboren. Man kennt die ungeheure Wirkung, die der Dichter auf die Zeitgenossen hatte, berühmt die Szene in Goethes „Leiden des jungen Werther“, als die jungen Leute nach einem Gewitter am Fenster stehen und mit dem Losungswort „Klopstock“ eine Andeutung von gefühlsmäßiger Nähe erscheint:
Wir traten ans Fenster. Es donnerte abseitwärts, und der herrliche Regen säuselte auf das Land, und der erqickendste Wohlgeruch stieg in aller Fülle einer warmen Luft zu uns auf. Sie stand, auf ihren Ellenbogen gestützt, ihr Blick durchdrang die Gegend, sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge tränenvoll, sie legte die Hand auf die meinige und sagte – Klopstock! – Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag, und versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Losung über mich ausgoß. Ich ertrug’s nicht, neigte mich auf ihre Hand und küßte sie unter den wonnevollsten Tränen. Und sah nach ihrem Auge wieder –
Stark war auch die Wirkung auf viele spätere Schriftsteller, Friedrich Hölderlin, Johannes Bobrowski, Arno Schmidt, Volker Braun, Peter Rühmkorf … Heute wird er vielleicht weniger gelesen und rezipiert, aber wer weiß.
Zum Jubiläum habe ich ein Gedicht ausgesucht, das Klopstocks Enttäuschung von der Französischen Revolution ausdrückt, die er anfangs begeistert aufgenommen hatte. Darin sprechen zwei Nordamerikaner – also aus der Nation, die vielen als die fortschrittlichste und zukunftweisende galt, über ihre Enttäuschung von den „Franken“, also den Franzosen, die Freyheit versprachen, aber nicht hielten und statt dessen ungeheure Schrecken verbreiteten.
Metrisch ist es eine halbe Elegie, wie man schon an der Einrückung der geraden Zeilen erkennt. Die ungeraden Zeilen sind Hexameter, die geraden aber nicht wie beim elegischen Versmaß Pentameter, sondern Kurzverse, Halbverse mit unterschiedlicher Silbenzahl und Metrik. Keine Elegie, Elegie ist gemäßigt und reflektiert. Das gelingt nicht. Ich nenne es mal etwas hemdsärmlig eine abrutschende Rhapsodie, der nur noch erinnerte rhapsodische Aufschwung früherer Zeit stürzt immer wieder ab.
Zwey Nordamerikaner
Nichts von dem, was der Franke des Guten verhieß, und des Edlen,
Nichts von Allem diesen geschah;
Wie es auch mit entzückendem Ton die Beredtsamkeit aussprach,
Und die Begeistrung es hob.
Aber alles geschah, was je die stärksten der Worte
Schreckliches nanten, oder was nie
Selbst der Sprachen redendste nicht zu nennen vermöchte,
Alles, alles dieses geschah!
Und je schwärzer es war, je grausender, ungeheurer,
Desto öfter geschah's.
Ha was wählest du dir, dich zu trösten? blutige Thränen?
Oder der Franken ewigen Haß?
»Nein, die Thräne nicht, und nicht den Haß. Ich verachte
Jeden, der rasen die Rasenden ließ.«
Aber fluchest du nicht den Rasenden? »Wer zum Steine
Wurde, verstumt.«
Hätt' ich euch nur nicht gerührt, ihr Saiten, die von der vertilgten
Freyheit sangen, und gleich
Tönten dem ernsten klagenden Bach, der mit der Zipresse
Neben Begrabenen rauscht.
Denn ihr strebtet umsonst den tiefgetrofnen zu heilen;
Risset die Wunde nur auf.
Wer an dem Frühlingsmorgen der neugeborenen Freyheit
Meine Freuden empfand,
Der allein, und kein anderer fühlt den innigen Schmerz auch,
Welcher jetzo die Seele mir trübt.
O vergäß' ich auf immer! Denn Linderung wird mir, so lang mich
Kühlet ein Trunk aus Lethe geschöpft.
Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 2, Leipzig 1798, S. 222-224.
Permalink:
http://www.zeno.org/nid/20005175054
Ausgewählt nach und in der Textgestalt verglichen mit: Klopstock, Der Schoosshund. Auswahl aus den Oden. Poetische Bögen. Leipzig, Berlin, Frankfurt am Main 1997, S. 21f
Heute vor 169 Jahren erschienen in der Zeitschrift „Revue de Deux Mondes“ 18 zuvor unveröffentlichte Gedichte von Charles Baudelaire unter dem hier erstmals verwendeten Titel Les Fleurs du Mal / Die Blumen des Bösen. Darunter war auch das Widmungsgedicht der späteren Buchausgabe (1857), Au Lecteur / An den Leser. – In der Neuausgabe von 1868 trug das Gedicht den Titel Préface / Vorwort und wurde um eine Strophe verkürzt. Die Kürzung wurde mit Pünktchen markiert, vermutlich war es Selbstzensur, oder Vorsicht des Verlags, weil diese Strophe gerade auf das Skandalon hindeutet, das nach Erscheinen der Erstausgabe zum Prozeß und zum Verbot von 12 Gedichten führte. Die 1868 ausgelassene Strophe wurde hier kursiv markiert.
Hier der Originaltext von 1857, die deutsche Fassung von Carlo Schmid (1947) und die Prosaübertragung von Friedhelm Kemp aus der Gesamtausgabe (1975).
Au Lecteur
La sottise, l'erreur, le péché, la lésine,
Occupent nos esprits et travaillent nos corps,
Et nous alimentons nos aimables remords,
Comme les mendiants nourrissent leur vermine.
Nos péchés sont têtus, nos repentirs sont lâches;
Nous nous faisons payer grassement nos aveux,
Et nous rentrons gaiement dans le chemin bourbeux,
Croyant par de vils pleurs laver toutes nos taches.
Sur l'oreiller du mal c'est Satan Trismégiste
Qui berce longuement notre esprit enchanté,
Et le riche métal de notre volonté
Est tout vaporisé par ce savant chimiste.
C'est le Diable qui tient les fils qui nous remuent!
Aux objets répugnants nous trouvons des appas;
Chaque jour vers l'Enfer nous descendons d'un pas,
Sans horreur, à travers des ténèbres qui puent.
Ainsi qu'un débauché pauvre qui baise et mange
Le sein martyrisé d'une antique catin,
Nous volons au passage un plaisir clandestin
Que nous pressons bien fort comme une vieille orange.
Serré, fourmillant, comme un million d'helminthes,
Dans nos cerveaux ribote un peuple de Démons,
Et, quand nous respirons, la Mort dans nos poumons
Descend, fleuve invisible, avec de sourdes plaintes.
Si le viol, le poison, le poignard, l'incendie,
N'ont pas encor brodé de leurs plaisants dessins
Le canevas banal de nos piteux destins,
C'est que notre âme, hélas! n'est pas assez hardie.
Mais parmi les chacals, les panthères, les lices,
Les singes, les scorpions, les vautours, les serpents,
Les monstres glapissants, hurlants, grognants, rampants,
Dans la ménagerie infâme de nos vices,
II en est un plus laid, plus méchant, plus immonde!
Quoiqu'il ne pousse ni grands gestes ni grands cris,
Il ferait volontiers de la terre un débris
Et dans un bâillement avalerait le monde;
C'est l'Ennui! L'oeil chargé d'un pleur involontaire,
II rêve d'échafauds en fumant son houka.
Tu le connais, lecteur, ce monstre délicat,
— Hypocrite lecteur, — mon semblable, — mon frère!
AN DEN LESER
Verirrung, Dummheit, Sünde, Lug erschüttern
Im Fleisch uns, legen auf den Geist die Hand.
Wir päppeln unseres Gewissens Brand
Wie Bettelleute Ungeziefer füttern.
Wir büßen feige; unsere Sünden hecken;
Wir nehmen für Geständnis Wucherpreis,
Begehn dann lustig neu verschlammtes Gleis
Im Wahne feile Tränen löschten Flecken.
Der Große Satan auf des Bösen Kissen
Erst lange die behexte Seele wiegt,
Und unsres Willens reiches Erz verfliegt
In Dampf vor dieses Alchimisten Wissen.
Der Teufel zieht die Fäden, die uns führen!
Vom Eklen nehmen wir noch Reize mit;
Gehn jeden Tag zur Hölle einen Schritt
Durch Stank und Nacht – und lassen uns nicht rühren.
Gleich den Verbuhlten ohne Geld, die fressen
Der alten Hure ausgeschundene Brust,
Ergaunern hehlings wir am Wege Lust,
Die wir wie alte Apfelsinen pressen.
Dicht wimmelnd wie die Maden in dem Darme
In unserem Hirn ein Volk von Teufeln schmaust;
Ein Atemzug – in unsre Lungen saust
Der Tod, Strom unsichtbar und leis im Harme.
Wenn Brand und Gift, Gewalt an Frauen
In unsres Schicksals jämmerlichen Riß
Noch nicht ihr spaßig Bild gestickt – gewiß,
Nur weil die Seelen, leider! sich nicht trauen ...
Doch unter den Schakalen, Skorpionen,
Den Affen, Geiern, Hündinnen in Brunst,
Dem Ungetier, das kläfft und brüllt und grunzt
Im Zwingerloch, wo unserer Laster wohnen,
Ist eins noch wüster, böser noch im Raffen!
Ist leise auch sein Schrei und träg sein Flug
Es lockert noch der Erde festen Fug
Und schluckt das All in eines Gähnens Klaffen:
Verdrossenheit! – Im Aug erzwungenes Weinen
Träumt es vom Block und saugt am Pfeifenrohr.
Du kennst es, Leser, mache Dir nichts vor,
Du Heuchler, o mein Bruder vor den Peinen!
Die Blumen des Bösen. Übertragen von Karl Schmid (=Carlo Schmid). (Zuerst Tübingen: Rainer Wunderlich, 1947) – Frankfurt/Main: Insel, 10. Aufl., 1988, S. 9f.
An den Leser
Dummheit, Irrtum, Sünde, Geiz hausen in unserm Geiste, plagen unsern Leib,
und wir füttern unsere liebenswürdigen Gewissensbisse, wie die Bettler ihr Ungeziefer nähren.
Störrisch sind unsre Sünden, unsre Reue schlaff; wir lassen unsere Geständnisse uns reichlich zahlen
und wandern fröhlich dann den Schlamm-Pfad wieder, zuversichtlich, als wüschen feile Tränen all unsre Flecken ab.
Satan der Dreimalgroße ist es, der auf dem Pfühl des Bösen lange unsern Geist wiegt, den verzauberten, und das reiche Metall unseres Willens löst dieser hocherfahrene Alchimist in Rauch auf.
Der Teufel hält die Fäden, die uns bewegen! Widriges scheint uns verlockend; mit jedem Tage tun wir höllenab einen weitern Schritt, doch ohne Grauen, durch Finsternisse voll Gestank.
So wie ein armer Lüstling, der den zerquälten Busen einer abgelebten Metze küßt und ißt, so im Vorbeigehn stehlen wir heimlich eine Lust uns, die wir auspressen fest wie eine altgewordene Orange.
Gedrängt und wimmelnd, gleich einer Unzahl Eingeweidewürmer, schwelgt in unsern Hirnen ein Volk von Dämonen, und atmen wir, so dringt in unsre Lungen, ein unsichtbarer Strom, der Tod herab, mit dumpfem Klageton.
Wenn Notzucht, Gift, Dolch, Brand noch nicht mit ihren hübschen Mustern den banalen Stickgrund unsrer jämmerlichen Geschicke zierten, so nur, weil es unsrer Seele, leider! dazu an Kühnheit fehlt!
Doch unter den Schakalen, den Panthern, den Hetzhündinnen, den Affen, den Skorpionen, Geiern, Schlangen, den Untieren allen, die da belfern, heulen, grunzen, kriechen in der ruchlosen Menagerie unserer Laster,
Ist eines häßlicher, und böser noch, und schmutziger! Ob es gleich keine großen Glieder reckt, noch laute Schreie ausstößt, zertrümmerte es gern die ganze Erde, und gähnend schluckte es die Welt ein;
Die Langeweile ists! Das Auge schwer von willenloser Träne, träumt sie von Blutgerüsten, ihre Wasserpfeife schmauchend; du kennst es, Leser, dieses zarte Scheusal, – scheinheiliger Leser, – Meinesgleichen, – mein Bruder!
Aus: Sämtliche Werke/Briefe in acht Bänden. Herausgegeben von Friedhelm Kemp und Claude Pichois in Zusammenarbeit mit Wolfgang Drost. Hanser Verlag, München/Wien, 1975/1992. Nachdruck bei Zweitausendeins (8 Bände in 4) Band 3, S. 55/57
Hier gibt es stolze 7 Übersetzungen ins Englische (darunter von Robert Lowell).
Heute mal ein Gedicht zum Hören, höchstens flüchtigen Mitlesen. Es dauert vier Minuten. Autor und Performer ist Tom de Toys. (Wenn Sie nicht sicher sind, ob Sie soviel Zeit aufbringen wollen… warum nicht erst mal 20 Sekunden anhören und dann entscheiden?)
Mein AI-Assistent meint zwar:
Das Gedicht ist fesselnd und macht neugierig auf mehr. Um die Leserinnen und Leser weiter zu motivieren, könntest du eine kurze Einleitung hinzufügen, die den Inhalt des Gedichts zusammenfasst. Außerdem könntest du erwähnen, warum dieses Gedicht besonders ist oder welche Emotionen es beim Zuhörer hervorruft.
Aber das mache ich nicht, wann lernt der das mal? Ob und wenn ja welche Emotionen oder Gedanken das Gedicht „hervorruft“ (interessantes Wort!), müssen sie sowieso selbst herausfinden.
Robert Kahn
(geboren am 22. April 1923 in Nürnberg; gestorben am 22. März 1970 in Round Top, Texas)
DR. BIERFAHRER
unterm seziertisch
ham wir ihn jefunden
darauf die vielzitierte
leiche er jestemmt
statt eines herzens
schlug ihm ne satte aster
in der brust
in seinem schädel
steckten desinfizierte säjespäne
massenhaft
und zwischen seinen zähnen
war dunkelhellila
n hakenkreuz einjeklemmt
schön wars nich
Aus: Robert Kahn: TONLOSE LIEDER. Teilnachdruck der Erstausgabe von 1978. Mit einem Nachwort von Käte Hamburger hrsg. von Helmut Kreuzer. (Vergessene Autoren der Moderne XXIV, hrsg, von Franz-Josef Weber und Karl Riha) Universität-Gesamthochschule Siegen, Siegen 1986, S. 26
Ferdinand Hardekopf
(* 15. Dezember 1876 in Varel; † 26. März 1954 in Zürich)
Spleen
Ein Bündel Mond erreichte mein Gesicht
Um 3 Uhr nachts, ein Quantum Butterlicht,
Und mahnte [3 Uhr 2]: »Ein Spuk-Gedicht,
Nervös-geziert, ist Literatenpflicht!«
Die Kammer dehnte sich verbrecher-hell.
Der Mond, ein Dotterball, schien kriminell.
Da stieg die Dame Angst [-Berlin] reell
Auf ihr imaginäres Karusell.
Ein Schneiderkleid umpresste mit Radau
Die Dame Angst: die Gift- und Gnadenfrau.
Doch das Zitronen-Ei [um 3 Uhr 5 genau]
Versank in Bar-Fauteuils aus Dämmerblau. –
Nachhüstelnd, matt-dosiert: »Macabre-Bar!
Ihr lila Blicke! Schweflig Tulpenhaar!
Aus Puderkrusten Tollkirsch-Kommentar!
Ein Gruss: du noctambules Seminar!«
... So. 3 Uhr 10. Wie süss verwirrt ich war!
(1921)
Aus: Der neue Conrady. Das große deutsche Gedichtbuch. Neu herausgegeben und aktualisiert von Karl Otto Conrady. Düsseldorf u. Zürich: Artemis und Winkler, 2000, S. 614
Tobias Reußwig
eine fußnote
heilig sind die krähen,
heilig die elstern,
heilig die wildbienen,
heilig die nesseln,
heilig.
heilig die verstecke,
heilig die zimtläden,
heilig die nischen,
heilig der honig,
heilig.
heilig das myzelium,
heilig das wissen,
heilig die wabe,
heilig der buchdruck,
heilig.
heilig die stille.
heilig der schwarm,
heilig die stimme,
heilig der traum,
heilig.
heilig der stock,
heilig die trauer,
heilig der schmerz,
heilig das zeichen.
heilig.
heilig die krähen,
heilig die zimtläden,
heilig der zweifel,
heilig die abkehr,
heilig.
heilig der hass,
heilig die elstern,
heilig der wahn,
heilig das internet,
heilig.
heilig der kopfschmerz,
heilig die demütigung,
heilig die wildbienen,
heilig der hass,
heilig.
heilig die libellen,
heilig das chronifizierte,
heilig die vorhänge,
heilig die nesseln,
heilig.
heilig das sonnenlicht,
heilig die selbstmordversuche,
heilig die erinnerung,
heilig das wissen,
heilig.
heilig die schatten!
heilig die kinder!
heilig die sperlinge!
heilig das wissen!
heilig!
heilig die niederreißenden stürme!
heilig die unterhöhlten pflastersteine!
heilig die nektarspendenden zierpflanzen!
heilig die erinnerung!
heilig!
heilig die wut!
heilig die selbstmordversuche!
heilig die schmerzen!
heilig der missbrauch!
heilig!
heilig das sonnenlicht!
heilig die psalme!
heilig die brachen!
heilig hiroshima!
heilig!
heilig sämtliche gesänge!
heilig das wimmern der schwachen!
heilig das ewige niederhalten!
heilig die alternativlose konsequenz!
heilig das zertreten!
heilig die unfähigkeit der friedfertigen!
heilig gehäuteter marsias!
heilig der gleichmut der mächtigen!
heilig die in sich ruhenden kämpfe!
heilig das heilen!
heilig der himmelsschreiende raub!
heilig die vorausgesehene rache!
heilig das kalkulierende wegschauen!
heilig die befreiende zerstörung!
heilig die kindheit!
Der persische Universalgelehrte Muhammad Nasir al-Din Tusi starb heute vor 750 Jahren in oder bei Bagdad.
Abū Dschaʿfar Muhammad ibn Muhammad Nasīr ad-Dīn at-Tūsī (arabisch أبو جعفر محمد بن محمد نصیرالدین الطوسی, DMG Abū Ǧaʿfar Muḥammad b. Muḥammad Naṣīr ad-Dīn aṭ-Ṭūsī, persisch نصیر الدین طوسی, DMG Naṣīr ad-Dīn-e Ṭūsī; * 1201 in Tūs, Chorasan nahe dem heutigen Maschhad, Iran; † 1274 bei Bagdad) war ein persischer schiitischer Theologe, Mathematiker, Astronom, Philosoph und Forscher. https://de.wikipedia.org/wiki/Nasīr_ad-Dīn_at-Tūsī
Er schrieb über 150 Bücher in arabischer und persischer Sprache über Themen der Mathematik, Astronomie, Philosophie, Biologie, Chemie, Mystik und viele andere. Er begründete die Trigonometrie als eigenständigen Bereich der Mathematik, und seine Planetenbeobachtungen und seine Kritik der aristotelischen Astronomie könnten Kopernikus vorgelegen haben. Er galt seinen Landsleuten als der dritte Meister nach Aristoteles und al-Farabi. Aus Anlass des 750. Todestags habe ich versucht, eins seiner Gedichte zu finden, aber die einzige Fundstelle war die englische Version der Wikipedia. Ich rücke es hier ein aus der englischen Wikifassung.
Anyone who knows, and knows that he knows,
makes the steed of intelligence leap over the vault of heaven.
Anyone who does not know but knows that he does not know,
can bring his lame little donkey to the destination nonetheless.
Anyone who does not know, and does not know that he does not know,
is stuck forever in double ignorance.
From: https://en.wikipedia.org/wiki/Nasir_al-Din_al-Tusi
Wer weiß, und weiß, dass er weiß,
lässt das Ross der Intelligenz über das Himmelsgewölbe springen.
Wer nicht weiß, aber weiß, dass er nicht weiß,
kann sein lahmes Eselchen trotzdem ans Ziel bringen.
Wer aber nicht weiß und nicht weiß, dass er nicht weiß,
bleibt für immer in doppelter Unwissenheit stecken.

Silke Peters
(Stralsund)
Frauentag
Schreiben, verändert die Wahrnehmung, ist eine heftige Trance. Bilder
verschmelzen bei über eintausend Grad im Lagerfeuer. Meine Gedanken
brennen, meine Gefäße sind aus Lehm. Ich klaube ihn unter der Wurzel
eines im Winter umgestürzten Baumes am Strand hervor. Stampfe die Klumpen
mit den nackten Füßen zu Brei.
Wem gehört der Fingerabdruck auf der Venus von Dolni Vestonice. Lössstaub
und Knochenmehl sind auf lange gebunden. Die Venus ist weggeschlossen
im Tresor einer Aufbewahrungsanstalt in Brünn. Für immer. Steinzeit. Ich koche
in einem Tontopf über dem wintermüden Feuer die Wurzeln aus und brate
die Austernpilze am Spieß.
Der Lehm wartet unter einem feuchten Tuch. Ich werfe
die geformten Perlen ins Feuer. Sie bedecken meine Stirn, schwanken,
rascheln, klingeln über meinem halluzinierenden Blick.
Ringe Jahresringe Saturnringe zähle ich
an den noch hastig im Februar gefällten
Bäumen überall im Stadtgebiet. Gefallene Riesen. Sie schauten aufs Meer.
Aus: Silke Peters: graben. Texte und Bilder Silke Peters. Stralsund 2024, S. 3
Fritz Löhner(-Beda) war ein österreichischer Schriftsteller, Operettenlibrettist und Liedtexter. Er schrieb Texte für Franz Lehar und Hans Moser, von ihm stammen viele bis heute populäre Liedtexte (“Ausgerechnet Bananen, Ich hab‘ mein Herz in Heidelberg verloren, Wo sind deine Haare, August?, Was machst du mit dem Knie, lieber Hans?, Dein ist mein ganzes Herz, Freunde, das Leben ist lebenswert“ u.v.a.). Unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs ans „Dritte Reich“ wurde er verhaftet. Er kam in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald (dort schrieb er den Text für das “Buchenwaldlied“). Am 4. Dezember 1942 wurde er im Lager Auschwitz-Monowitz ermordet.
Worte, die Tausende, Millionen im Ohr haben, sollen keine Lyrik sein? Man sie lesen und hören.
Höret die Geschichte von Frau Potiphar
Die ungemein erfahren war
Hört zu, hört zu: Das war die Frau des Potiphar
Die ungemein erfahren war
In allen Liebessachen
Der Gatte aber, au contraire
Der war schon alt und konn't nicht mehr
Tirili tirila, die kleine Frau bewachen
Da pfiff sie auf die Sittsamkeit
Und machte sich 'nen Schlitz ins Kleid
Und fuhr hinab nach Theben
Um dort sich auszuleben
Denn Theben ist für Memphis
Das, was Lausanne für Genf ist
In der Bar zum Krokodil
Am Nil, am Nil, am Nil
Verkehrten ganz incognito
Der Joseph und der Pharao
Dort tanzt man nur dreiviertelnackt
Im Rumba und Dreivierteltakt
Es trifft mit der Geliebten sich
Am Abend ganz Ägypten sich
In der Bar zum Krokodil
Am Nil, am Nil, am Nil
Dem Gatten der Frau Potiphar
Dem wurde bald die Chose klar
Er ging hinab zu Ramses
"Ich weiß, was meine Gattin macht
Sie fährt nach Theben jede Nacht
Ja, Majestät, da ham'ses."
Da sagte drauf der Pharao
Da machen wir es ebenso
Sie sehn' wie doof es hier ist
Im Restaurant Osiris
Drum gehn' als Philosophen
Wir auch nach Theben schwofen
In die Bar zum Krokodil
Am Nil, am Nil, am Nil
Da setzten sie sich mit Genuß
In den Pyramidenomnibus
Und fuhr'n hinaus nach Theben
Da gab es Mädchen, drollige
Teils schlanke und teils mollige
Der Gatte der Frau Potiphar
Besah sich da die Mädchenschar
Und spuckte auf den Boden
Der Ramses fragt: "Wieso denn?"
Worauf die Antwort schallte:
"Ich denk an meine Alte!"
In der Bar zum Krokodil
Am Nil, am Nil, am Nil
Verkehrten ganz incognito
Der Joseph und der Pharao
Dort tanzt man nur dreiviertelnackt
Im Rumba und Dreivierteltakt
Es trifft mit der Geliebten sich
Am Abend ganz Ägypten sich
In der Bar zum Krokodil
Am Nil, am Nil, am Nil
Ein schlankes Mädchen, schwarz maskiert
Das hat die beiden fasziniert
Sie kauften ihr Narzissen
Der Gatte der Frau Potiphar
Der schneller als der Ramses war
Tirili, tirila
Der wollt' sie gerne küssen
Als er zu Ramses kam zurück
Da senkte traurig er den Blick
Und sah verstört zu Boden
Der Ramses fragt: "Wieso denn?"
Worauf die Antwort schallte:
"Das Weib war meine Alte!"
In der Bar zum Krokodil
Am Nil, am Nil, am Nil
Verkehrten ganz incognito
Der Joseph und der Pharao
Mit Ramses saß heut in der Bar
Der Gatte der Frau Potiphar
Und aß von einem Feigenblatt
Gehackte Mumie mit Spinat
In der Bar zum Krokodil
Am Nil, am Nil, am Nil
Reinhard Goering
(* 23. Juni 1887 auf Schloss Bieberstein, Hessen; Suizid vermutlich Mitte Oktober 1936 in Bucha bei Jena)
Stockholm
Grand Hotel Slot
Vier Dachdecker shot.
Sybille tanzt
Glitzerwasser fließen quick
Nacht Nacht
I love you.
Hör mal wie sie da singen diese Schweden.
O das große große slot.
Nochmal acht Buchbinder shot.
Sven erscheint.
Ja
schön ist Stockholm
schöne Zahnärzte
zart küssende Männinen
o im Auto
Auf den Turm vom stadthuset
Hechtsprung in Mälern
vornehmes Leichenbegräbnis über die ...
Nein, Anruf einer Prinzessin vom slot
verdammte Störung
the great lover shot.
Aus: Hartmuth Geerken (Hg.): Dich süße Sau nenn ich die Pest von Schmargendorf. Erotische Gedichte des Expressionismus. München: btb (Random House), 2006 (vorher yedermann 2003), S. 209
Siegmar Faust
(* 12. Dezember 1944 in Dohna, Landkreis Pirna, Sachsen)
Eigentlichkeit
Eigentlich dürfte es mich gar nicht geben
Eigentlich habe ich meine Existenz Hitlers Krieg zu verdanken
Eigentlich ist mein Vater gar nicht mein Vater
Eigentlich zeugte mich ein Zypriot in englischer Uniform
Eigentlich hätte meine Mutter ins KZ gesperrt gehört
Eigentlich hat meine Mutter Glück gehabt
Eigentlich hätte mein Vater keine Frau mit einem Kind heiraten müssen
Eigentlich hätte ich nie gemerkt, dass mein Vater nicht mein Vater war
Eigentlich hatte er es nicht verdient, jämmerlich an Asbestose zu sterben
Eigentlich wollte ich auch einmal den Kommunismus aufbauen helfen
Eigentlich hätte ich es nie gewagt, den großen Karl Murks zu kritisieren
Eigentlich wollte ich gar nichts mit Politik zu tun haben
Eigentlich hätte ich im Zuchthaus gar keinen Widerstand leisten müssen
Eigentlich bin ich wie ein Stück Vieh verkauft worden
Eigentlich sollte man dankbar sein für diesen Häftlingsfreikauf
Eigentlich vergeudete ich eine Hälfte im Osten, die andere im Westen
Eigentlich habe ich Sehnsucht nach dem Süden
Eigentlich weiß ich gar nicht, wohin ich gehöre
Eigentlich wollte ich kein brotloser Künstler werden
Eigentlich wollte ich viele Kinder haben
Eigentlich war ich überfordert mit sechs Kindern
Eigentlich wollte ich meiner ersten Frau treu bleiben
Eigentlich meiner zweiten, dritten und vierten ebenfalls
Eigentlich kommt es immer anders als man denkt
Eigentlich kann jeder machen was er will
Eigentlich will ich nur wissen, was das Gelbe im Ei bedeuten soll
Eigentlich wollte ich Magister der Philosophie werden
Eigentlich habe ich alles schon einmal fahrlässig durchdacht
Eigentlich ist es unerheblich zu wissen, wo Gott wohnt
Eigentlich habe ich schon gelebt
Eigentlich wird es Zeit: abzutreten.
Aus: Es gibt eine andere Welt. Neue Gedichte. Eine Anthologie aus Sachsen. Herausgegeben von Andreas Altmann und Axel Helbig. Mit einem Nachwort von Peter Geist. Leipzig: poetenladen, 2011, S. 65
Wulf Kirsten
(* 21. Juni 1934, heute vor 90 Jahren, in Klipphausen, Amtshauptmannschaft Meißen; † 14. Dezember 2022 in Bad Berka)
satzanfang
den winterschlaf abtun und
die wunschsätze verwandeln!
saataufgang heißt mein satzanfang.
die entwürfe in grün überflügeln
meiner wortfelder langsamen wuchs.
im überschwang sich erkühnen
zu trigonometrischer interpunktion!
ans licht bringen
die biografien aller sagbaren dinge
eines erdstrichs zwischenein.
inständig benennen: die leute vom dorf,
ihre ausdauer, ihre werktagsgeduld.
aus wortfiguren standbilder setzen
einer dynastie von feldbestellern
ohne resonanznamen.
den redefluß hinab im widerschein
die hafergelben flanken
meines gelobten lands.
seine rauhe, rissige erde
nehm ich ins wort.
Aus: Wulf Kirsten: satzanfang. gedichte. Berlin und Weimar: Aufbau, 1970, S. 5
RISIKOLYRIK: DER 25. NAHBELLPREIS 2024 GEHT AN DEN OSNABRÜCKER TEXTFLECHTER ULRICH JÖSTING (*1962)
G&GN-INSTITUT@POESIEPREIS.DE / Seine Gedichte sind beinahe „unlesbar“, zumindest nur schwer, aber nicht aufgrund zu hermetischer Metaphern, sondern genau umgekehrt wegen ihrer metapherlosen, aber unkausalen Konkretheit. Die Diskussion um „Lesbarkeit“ und „Schwierigkeitsgrad“ in der zeitgenössischen Lyrikszene, also die Frage, wie LESBAR oder wie SCHWIERIG ein „gutes“ Gedicht sein müsste, diese Diskussion findet in seinem Stil ein erstaunliches Ende: seine Gedichte sind lesbar UND schwierig zugleich, sie nehmen einen mit in einen unbekannten Raum, zeigen dem Leser die Wände und Ausmaße des Raums, aber dieser poetische Raum bleibt trotzdem dunkel, er knipst das Licht nicht einfach an, um billige Tapeten vorzuführen. Es sind Gedichte, die man niemandem ins Poesiealbum kritzeln wollte, weil sie eben so dunkel wirken, fast böse, gemein, gefährlich! GEFÄHRLICHE GEDICHTE! Sie verströmen ein Risiko, sie sind Risikolyrik par excellence! Die Stärke der Werke liegt jenseits jeglicher Erklärbarkeit ihrer Bedeutung, sie haben selber die Bedeutungshoheit als das, was sie sind: Gedichte – wie Blumen, die man auch nicht durch Abzählen der Blütenblätter rational erklären kann. / G&GN-ORIGINALQUELLE: https://poesiepreis.jimdofree.com/aktuell/presse-2024/
Ulrich Jösting
Vögel
drehen Herz
zur Leinwand
niemand sieht weg
geht los der heilige Krieg
alle werden sterben
Sohn Tochter
Vater Mutter
so ist das
AUSZUG AUS DEM GROSSEN NAHBELLPREIS-INTERVIEW:
„DIE RICHTIGE FREQUENZ AM ENDE DER ENERGIESPUR“
2. Nahbellfrage (gekürzt):
Worin besteht der Unterschied zwischen Prosa und Lyrik?
„In literaturwissenschaftlichen Kategorien oder marketingorientiertem Labeling mag ich nicht mehr denken und schreiben. Ich versuche, mich beim Schreiben in einem mir bestimmten Emotionsfeld zu bewegen, auf und mit dieser bestimmten Frequenz zu schwingen, der Energiespur zu folgen. Wenn das gelingt, ist ALLES was entsteht richtig und gut. Richtig gut. Für mich. Wahrscheinlich mag sich sodann beim Rezipierenden meiner Textgeflechte auch Bewegung ereignen.“ (aus der 2. Nahbellantwort)
3. Nahbellfrage (gekürzt):
Welche Inspirationsquellen hattest Du, welche Hintergründe nahmen Einfluss?
„Es entstehen ja lyrisch-poetische Texte, weil ich tatsächliche Lebenserfahrungen, Gemütszustände, Geschehnisse gar nicht konkret und real darstellen will und kann, sondern in der Verschlüsselung und Transformation, der Entstellung und Verklärung, der Ungenauigkeit und Mehrdeutigkeit eine Auseinandersetzung, Bewältigung, Befriedigung, ein Ausdrücken erlebe. Den entstandenen Text präsentiere ich dem geneigten Lesenden danach zur eigenen Reflexion. Ich habe kein Qualitätsmanagementsystem, mit dem ich meine Texte bearbeite. Kunst sehe ich als wertfreien Spielraum menschlicher Kreativität, in dem der Kunstschaffende frei von Qualitätsstandards kreieren darf, wie er mag.“ (aus der 3. Nahbellantwort)
4. Nahbellfrage (gekürzt):
Wann hast Du zum allerersten Mal überhaupt gedichtet?
„Ich habe Befriedigung erfahren, die Schreiben bewirkt, und die magische Kraft entdeckt, mich zu entwickeln, zu befreien, mich und ALLes zu erschaffen, zu begreifen, wenn ich Innenwelten außen in Worten und Sätzen manifestiere. Zwar war ich am Anfang meines Schreibens doch eher der Epik zugeneigt, meinte, der Roman sei die Königsdiziplin der Literatur, aber meine Prosa wollte dann immer mehr nicht wirklich einfach durchschaubar erzählerisch sein, sondern verdichtete sich schon beim Wort, verirrte sich im Satz, verstrickte sich beim Sätzeaneinanderreihen.“ (aus der 4. Nahbellantwort)
8. Nahbellfrage (gekürzt):
Wie lässt sich der Aufwand für die Kreativität mit Deinem Lebensalltag vereinbaren?
„Das Spannungsfeld zwischen kreativer Leidenschaft und notwendigem Broterwerb durchzieht meinen Lebenslauf konstant und führt immer wieder zu diversen inneren und äußeren Konflikten. Dieser Zwiespalt hat auch schon dazu geführt, dass ich kurzeitig aus der Textproduktion ausgestiegen bin und vermutlich bewirkt das schwer auszuhaltende Dilemma, dass viele talentierte Künstlerinnen und Künstler letztendlich ganz aus der Kunstwelt ausscheiden und ihre kreative Karriere aufgeben.“ (aus der 8. Nahbellantwort)
DAS VOLLSTÄNDIGE INTERVIEW HIER:
https://poesiepreis.jimdofree.com/preistraeger/25-nahbellpreis-ulrich-joesting/

DIE NAHBELL-KATEGORIEN „FÖRDERPREIS“ & „KONZEPTPREIS“ KONNTEN DIESES JAHR LEIDER NICHT BESETZT WERDEN. DAS G&GN-INSTITUT FREUT SICH AUF NEUE BEWERBUNGEN FÜR 2025. DER 2. NAHBELL-NEBENPREIS GEHT 2024 AN ANDREAS MÜLLER (*1979) FÜR SEINEN ESSAY „DAS ICH, DAS ES NICHT GIBT – ODER: BEFREIUNG VON DER ILLUSION, >JEMAND< ZU SEIN“ – EIN AUSZUG DARAUS:
IM INTERVIEW „SOSEIN STATT SACKGASSEN DER SEHNSUCHT“ FRAGT DAS G&GN-INSTITUT ANDREAS MÜLLER:
Wenn sich die Menschheit an einer Illusion abarbeitet, ist das doch ein zivilisatorischer Skandal? Diese Sehnsucht nach dem vollkommenen Dauerzustand treibt Architekten, Politiker, Ärzte, Künstler und jeden Handwerker an, etwas zu erforschen und zu schaffen, was das Leben angenehmer macht und einen tieferen Sinn spüren lässt. Wie zeigt sich dieser „permanente Kampf“, von dem Du sprichst, wenn nicht im Erfindergeist der Genies, deren Ichs der „Hoffnung auf Glück“ verfallen sind? Ihre „Trunkenheit der Suche“ hat die Zivilisation doch vorangetrieben!
DER ANTIGURU ANTWORTET:
Ich spiele darauf an, dass es diese erfüllte Erfahrung gar nicht braucht. In diesem Sinn ist die Suche selbst eine Sackgasse. Aus dem Ich-Erleben heraus wirkt auch das morgendliche Zähneputzen wie ein kleiner Beitrag auf dem Weg zur persönlichen Erleuchtung. Als bei mir die Illusion des „Ich-Seins“ verpufft ist, hat die Suche zwar aufgehört, aber das Zähneputzen nicht. Es stellte sich heraus, dass ich das niemals gemacht habe, um weiterhin auf dem Weg zu bleiben. Es scheint einfach zu geschehen, ohne dass es jemand tut und ohne dass es einem tieferen Zweck dienen muss. Im Gegensatz dazu könnte es im „Ich-Erleben“ durchaus den Eindruck geben, dass man gesunde Zähne haben muss, wenn man in der Zukunft eine erfüllte Erfahrung machen möchte.
DER ESSAY UND DAS VOLLSTÄNDIGE INTERVIEW HIER: https://poesiepreis.jimdofree.com/nebenpreis/02-timeless-wonder
ERGÄNZEND DAS INTERVIEW MIT DEM PREISSTIFTER DE TOYS ALS GASTAUTOR DER LDL: „TRANSPERSONALES TRAUERTAXI“ @ https://urruhe.jimdofree.com/interviews/1-gastautoren-interview/

Hanns Cibulka
(* 20. September 1920 in Jägerndorf, Tschechoslowakei, heute: Krnov, Tschechien; † 20. Juni 2004 in Gotha)
DER SPÄTE HÖLDERLIN
Lauter fremde Namen
hast du deinem Vaterland gegeben,
Patmos, Smyrna,
bei Ephesos
bist du gegangen.
War sie dir fremd,
die tägliche Arbeit
an den Dingen der Erde?
„O Melodien über mir,
ihr unendlichen,
zu euch,
zu euch."
Mittags,
die Rosenstöcke von Bordeaux
ausgebrannt vom Blitz,
Bruchstücke,
Fragmente.
Sehen Sie,
gnädiger Herr,
ein Komma ...
Aus: Hanns Cibulka, Lebensbaum. Gedichte. Halle: Mitteldeutscher Verlag, 1977, S. 66
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