Creole poet

Edward Hirsch präsentiert ein Gedicht des Haitianischen „Creole poet“ Woudòf Milè (Rudolph Muller): A 16-Year-Old Girl Who’s Standing Hirsch:

There are poems that tremble with human presence, that put the suffering of a single human being squarely in front of us. Such poems have a dynamic simplicity that rivets our attention. They have the power to disturb and even shame us.

/ Washington Post 14.4.02

William Blake

Sein erfolgreicher Dichterkollege Wordsworth , bei dem sich im Gegensatz zu Blake der revolutionäre und künstlerische Elan im mittleren Alter verflüchtigte, bemerkte immerhin nach der Lektüre einiger Blake’scher Verse: «Am Wahnsinn dieses Mannes ist etwas, das mich mehr anzieht als die geistige Gesundheit eines Lord Byron .» … Dem deutschsprachigen Publikum ist Blake, zumal in seiner Eigenschaft als Dichter und mythopoetischer Zivilisationskritiker, nach wie vor wenig bekannt; und dies, obgleich seine erste kritische Würdigung 1811 ausgerechnet auf Deutsch erschien, und zwar im «Vaterländischen Museum», verfasst von Henry Crabb Robinson, einem unermüdlichen, wenn auch wenig erfolgreichen Mittler zwischen englischer und deutscher Kultur in der Goethezeit. / Werner von Koppenfels, NZZ 13.4.02

Peter Ackroyd: William Blake . Dichter, Maler, Visionär. Aus dem Englischen übertragen von Thomas Eichhorn. Albrecht- Knaus-Verlag, München 2001. 475 S., Fr. 52.50.

Ernst Jandl

Aus Ehrfurcht vor den Worten, den Sprachfetzen, Jandls lyrischem Wortsalat, halten sich die Musiker zurück, mischen sich kaum ein und lassen den Texten, die für sich genommen schon wie Musik klingen, den Vortritt. Im „Sommerlied“ blasen die Instrumentalisten den sanft säuselnden Sommerwind dazu. Wenn sich die Amsel erhebt zu ihrem ewigen Flug, dann tiriliert die Flöte. Dieser Amsel wurden die Beine entfernt, denn: „Das müsst’ ein wahrer Vogel sein, dem niemals fiel das Landen ein.“ Und zu Jandls „Philosophie“, deren Silben so verdreht und geschüttelt werden, dass sich alles wie „viel Vieh“ anhört, bläst sich’s zwölftönig auf der Flöte am besten. / Darmstädter Echo 13.4.02

Jandl und Jazz mit Berger, Puschnig und Sass in der Darmstädter Centralstation.

Heinz Czechowski

Vom „Gedicht, geschrieben / Gegen die Vergeblichkeit“ redet Czechowski bescheiden an einer Stelle. Da ist kein Weg ins laute Gepolter der Weltveränderung, keiner in die kühl-lächelnde Ironie, keiner in die Senk-, Spreiz- und Knickübungen der Versfüße und Silben. Aber in der Bescheidenheit wurzeln früh auch die Ansprüche – tastend, konjunktivisch: „Gelänge uns doch / Der Griff aus dem Dunkel / Nach den wirklichen Dingen!“ Wer aus dem Dunkel nach den wirklichen Dingen greifen will, der ist, bei aller Selbstbezogenheit, nicht am Bau eines hermetischen Käfigs interessiert. Und wahrscheinlich ist es diese Dialektik von strenger Individualität und konkreter Weltwahrnehmung, die den spröden Zauber von Czechowskis Dichtungen ausmacht. / Gregor Ziolkowski, Berliner Zeitung 13.4.02

* Heinz Czechowski : Die Zeit steht still. Ausgewählte Gedichte 1958-1999. Ausgewählt und mit einem Nachwort von Alexander Nitzberg. Grupello Verlag Düsseldorf 2000. 237 S., 18 Euro

Peter-Paul Zahl

„Die Glücklichen“ hat derweil seine 26. Auflage erreicht. Als der Roman 1979 zum ersten Mal erschien, war es ein Skandal. Peter-Paul Zahl hatte ihn im Knast geschrieben, in Köln Ossendorf, Bochum und Werl. Hatte damit jenen früheren Weggefährten eine Nase gedreht, die sich um des Parteigehorsams willen auf die Tage der Kommune nicht mehr besannen, auf die Straßenkämpfe und Sprechchöre, die Demos und Steinwürfe. Für die Bonner Republik andererseits war das Buch ein 524 Seiten langes Ständchen mit dem Refrain: „Ich kenn ein putzig Städtchen am Rhein / da behaupten die Beschränktesten / Sachwalter ganz Deutschlands zu sein./ Sie verwalten die Kohlen und halten die Macht / aber jetzt jetzt werden sie ausgelacht.“

Dass der Knastschreiber, zu dem Zahl sich selbst ernannte, daraufhin den Förderpreis der Freien Hansestadt Bremen erhielt, ließ die Lordsiegelbewahrer des freien bundesdeutschen Staates aufschreien. Das hieße sozialdemokratische Kulturpolitik, posaunte Helmut Kohl an Straußens Statt. / Aureliana Sorrento, Berliner Zeitung 13.4.02

 

Bardinale

Das Dresdner Fest der Poesie kommt in diesem Jahr mit neuem Namen daher: statt „Dresdner Lyriktage“ nennt es sich nun „Bardinale“…
Den Auftakt am 5. Juni bildet … die Lesung von zwei Lyrikerinnen und drei Lyrikern aus Guatemala, Kolumbien, Russland, Irland und Deutschland (die DNN wird sie noch näher vorstellen). Diese Lesung ist Teil des europäischen Netzwerkes „Poets on the Road“. Die Autoren treten zuvor auf Festivals in Malmö und Bremen auf. / Dresdner Neueste Nachrichten 12.4.02

Nordlicht aus Dresden

Aber Däublers Haupt- und Lebensstück, das lyrische Großepos „Das Nordlicht“, ist so gründlich verschollen, dass es selbst im „Zentralen Verzeichnis Antiquarischer Bücher“ kaum Spuren hinterlassen hat. Sehr zu Unrecht, denn dieses ebenso großartige wie törichte Gedicht ist eines der größten deutschen Sprachexperimente, „halb Pyramide und halb Urwald“, wie Däubler selbst meinte. Das Gedicht soll nicht weniger als die Geschichte der gesamten Schöpfung erzählen, von der anfänglichen Trennung der Erde von ihrer Mutter, der Sonne, bis zur künftigen Vereinigung im Kosmus unter dem Zeichen des Nordlichts. Vollständig erschienen ist „Das Nordlicht“ zum ersten Mal 1910 (Florentiner Fassung), dann, nach einer durchgreifenden Umarbeitung zum zweiten Mal 1921 (Genfer Fassung). Bis 1930 arbeitete Theodor Däubler an der dritten, der „Athener Fassung“. Sie blieb allerdings ungedruckt und liegt heute im Goethe-Schiller-Archiv in Weimar. Der Dresdner Literaturwissenschaftler Walter Schmitz hat nun zusammen mit Stefan Niehaus (Universität Bari) und Paolo Chiarini (Universität Rom) mit der ersten Gesamtausgabe der Werke Theodor Däublers begonnen. Nachdem einer Reihe großer deutscher Verlage das finanzielle Risiko einer solchen Edition als zu groß erschien, hat nun der Dresdner Kleinverlag Thelem ( http://www.thelem.de ) die Ausgabe übernommen, deren erster Band, eben „Das Nordlicht“ in drei Fassungen und Teilbänden sowie einem Kommentarband, gegen Ende dieses Jahres erscheinen könnten – vorausgesetzt, es finden sich hundertzwanzig Subskribenten für die Gesamtausgabe. / Süddeutsche Zeitung 11.4.02

Ernesto Sábato

In der FAZ klärt uns PAUL INGENDAAY über die spanische Form der Dichterehrung auf – am Beispiel des argentinischen Dichters Ernesto Sábato :

Wir hörten von Sábatos Tübingen-Reise 1962 und seinem Besuch im Hölderlin-Turm. Von der „brüderlichen Metaphysik“ seines Denkens und der „schwierigen Schönheit“ seiner Schriften. Die einen nannten ihn mit respektvoller Anrede „Don Ernesto“, andere wußten, daß große alte Männer in Argentinien nur Nachnamen tragen. Am Ende weinten viele, Sábato auch. Und nichts war zu spät. An die eigenen Tränen wird sich jeder erinnern. / Frankfurter Allgemeine Zeitung , 11.04.2002

Les guerres, les chansons

Muss Klage so wortreich sein, um gehört zu werden? Birgt nicht das reduzierte Sprechen die stärkere Überzeugungskraft in sich? Denn gerade in diesen Sequenzen finden sich Zeilen von visionärer Einfachheit: «. . . in einem nicht sehr fernen Land / wird das Gras / nass sein wie auf dem Amselfeld / werde ich tot sein wie auf dem / Amselfeld und die Sonne / ist die Sonne dann der Mond / und am Morgen ist die nasse Wiese / wieder schon der Tod . . .» / Beatrice Eichmann-Leutenegger, NZZ 11.4.02

Markus Stegmann : Les guerres, les chansons. Gedichte. Edition Isele, Eggingen 2001. 60 S., Fr. 28.-.

Richard Wagner 50

Richard Wagner (nicht der tote Komponist, sondern der lebende, seit gut (?) 15 Jahren in Deutschland lebende Lyriker und Erzähler aus dem Banat, wird 50. Hannes Krauss gratuliert im “ Freitag “ 15/2002. – In der „Lyrikedition 2000“ erschien vor 2 Jahren der Band „Mit Madonna in der Stadt“, aus dem dieses Gedicht stammt:

Fußgänger

Vielleicht ist es ja so,
daß ich den Boden
unter den Füßen
zu verlieren beginne.
Wessen Boden, frage ich
und gehe ungeniert
weiter durch die Luft.

José Eduardo Agualusa

Der Tagesspiegel interviewt den in Angola in einer portugiesisch-brasilianischen Ehe geborenen und heute abwechselnd in Rio de Janeiro, Lissabon und Luanda lebenden Autor José Eduardo Agualusa , der einige Monate als Stipendiat in Berlin lebte. 2 Zitate:

  • Die portugiesische Sprache ist inzwischen eine Komposition, die aus sieben Ländern in vier Kontinenten entstanden ist. Hinzu kommt, dass die Araber fünf Jahrhunderte in Portugal waren, das Portugiesische also nicht nur lateinische Wurzeln hat. Auch der Fado, die traditionelle Musik Lissabons, geht zurück auf den Gesang afrikanischer Sklaven in Brasilien im 19. Jahrhundert. Und bereits im 17. Jahrhundert kam jeder fünfte Bewohner Lissabons aus Afrika. … Im 17. und 18. Jahrhundert waren viele Lissaboner Intellektuelle afrikanischen Ursprungs.
  • Ich denke, die Deutschen sollten als Chance begreifen, dass nun auch das Türkische eine deutsche Sprache geworden ist. / Der Tagesspiegel 10.4.02

Das Glück zwischendurch

Christiane Zintzen bespricht in der NZZ vom 10.4.02:

Franz Weinzettl : Das Glück zwischendurch. Prosa und Verse. Edition Korrespondenzen, Wien 2001. 144 S., Fr. 34.30.

Huangshan

Die FAZ entdeckt (und apotheosiert) für uns den Dichter-Vorsitzenden Jiang Zemin :

Mehr Aufsehen erregten die „Beiläufigen Gedanken beim Besteigen des Huangshan“, die die Parteizeitung „Renmin Ribao“ auf ihrer Titelseite druckte. Es handelt sich um einen einfachen Vierzeiler in klassischem Chinesisch, das durch eine Übersetzung naturgemäß nur unzureichend wiedergegeben werden kann: „Gerade griff ich zu meiner Traum-Feder / Um die großartige Aussicht zu beschreiben / Da brach die Sonne durch das Wolkenmeer / Und machte es rot, zehntausend Meilen weit.“
Der Huangshan in der Provinz Anhui kann mit gutem Recht als der Lieblingsberg der chinesischen Dichter bezeichnet werden. Wer ihn gesehen hat, so hieß es schon vor tausend Jahren, braucht keinen anderen Berg mehr zu sehen. Jiangs Werk wurde sofort in ein Lesebuch für Schüler aufgenommen. Das hatte es seit Mao nicht gegeben. Doch wie anders die poetische Geste. Während Mao die traditionellen Muster zu einer Apotheose des revolutionären Willens umformte und sich damit selbst als oberster Dichter seines Volkes deutete, der auf dem ausradierten historischen Material die schönsten Schriftzeichen malt, reiht sich Jiang vorbehaltlos in den sachlichen Subjektivismus der Klassik ein. Die Landschaft wird zu einem Spiegel der Seele, deren Exaltationen wiederum keinen anderen Ausdruck finden können als in den Oberflächen der Natur. Das rote Wolkenmeer, zehntausend Meilen weit: Gerade die in ihrer Äußerlichkeit belassene, nicht weiter durchdrungene Wahrnehmung öffnet den der westlichen Ästhetik nur begrenzt zugänglichen Bedeutungshof. / Mark Siemons, FAZ 10.4.02

»Lyriksommers« auf der Landesgartenschau

Bei den Abiturienten im Villingen ist die reine Lyrik nicht gefragt, erfahren wir heute (10.4.02) im Südkurier . Anders in Ostfildern, wo die Landesgartenschau fest auf Lyrik setzt, mit Open-Air-Lyrikbibliothek, Hörgedichten etc.:

Ein Garten als öffentlicher Leseort mag nahe liegend sein. Doch warum ausgerechnet und ausschließlich Lyrik? Der Reutlinger Peter Reifsteck – für Idee und Umsetzung des »Lyriksommers« auf der Landesgartenschau zuständig – sieht mehrere Gründe: Zum einen sind Gedichte meist kurze Texte, eignen sich somit auch für Besucher, die nur wenig Zeit mitbringen. Zum anderen gilt Lyrik zwar immer noch als die »Königsgattung« der Literatur, doch steht dieser Anspruch in eklatantem Gegensatz zur ihrer ökonomischen Lage. So hat H. M. Enzensberger schon vor über zehn Jahren sarkastisch festgestellt: »Dass sie noch immer unter uns ist, grenzt an ein Wunder. (. . .) Die Poesie ist das einzige Massenmedium, bei dem die Zahl der Produzenten die der Konsumenten übertrifft. Hand in Hand mit dem Bedürfnis, Gedichte zu verfassen, geht nämlich die Abscheu davor, sie zu lesen.« Die Lyrikbibliothek auf der Landesgartenschau als ein trotziger Versuch also, das angeblich Unmögliche zu wagen: Lust auf Lyrik(lesen) zu machen. / Reutlinger General-Anzeiger 10.4.02

Die Bibliothek wird am Sonntag, 7. Juli, eröffnet, wobei Prominente von Manfred Rommel bis zur Opernsängerin Helene Schneiderman ihre Lieblingsgedichte vorstellen werden, und ist bis zum 21. September – bei trockener Witterung – täglich von 10 bis 19 Uhr zugänglich. Ausführliche Informationen zum Veranstaltungsprogramm des »Lyriksommers« sind ab Mai erhältlich bei der Landesgartenschau Ostfildern 2002, Niemöllerstraße 9, 73760 Ostfildern, Telefon 07 11/3 40 17 70, Fax 34 01 77 10, http://www.ostfildern-landesgartenschau.de .

Linientreue Lyrik

Überhaupt die Provinz. In Minden droht die Abschaffung des Stadtschreiberstipendiums. Dazu das Mindener Tageblatt vom 10.4.02 unter der Überschrift „Linientreue Lyrik“:

In einer solchen Situation kann die Beschäftigung mit einem [solch linientreuen DDR-Autor wie] Johannes Bobrowski oder eine Flucht in die Theologie keine Antwort sein.