Dichtende Sisi

Die Gedichte der Kaiserin dürfen daher als die einzige authentische Äußerung gelten, die die Nachwelt von ihr vernimmt. Die Poesien wurden erst vor anderthalb Jahrzehnten von Brigitte Hamann publiziert (Kaiserin Elisabeth: Das poetische Tagebuch, herausgegeben von Brigitte Hamann, Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1984). Es war der Wille Elisabeths, dass ihr Poetisches Tagebuch frühestens im Jahr 1950 veröffentlicht werde. In diesem Jahr, so hat sie handschriftlich verfügt, sollte ein Kästchen, das sie ihrem Bruder Carl Theodor, Herzog in Bayern, zur Verwahrung übergeben hatte, an den Präsidenten der Schweiz in Bern zu einer möglichen Publikation übergeben werden. …

Nordsee-Lieder, der Titel des ersten Teils ihrer Sammlung, ist das Zitat einer Heineschen Gedichtsammlung. Die Gedichte waren angeregt durch einen Aufenthalt in Amsterdam, wo sich die fanatische Spaziergängerin, die ihren Körper in Eil- und Tagesmärschen kasteite, einer Kur zur Heilung ihrer Gelenke unterzog. Den Stil Heines wählt sie im ersten Zyklus lyrischer Gesänge über das Meer: „O hätt‘ ich so viel Lieder, / Als Wellen, du mein Meer / Ich schrieb sie alle nieder, / Und brächte sie dir her….“ / Hannelore Schlaffer, FR 16.11.02

Jandl

Begeistert besprochen in der FAZ, 16.11.02:

Ernst Jandl: „13 radiophone Texte und Das Röcheln der Mona Lisa“
Von Texten, Stimmen und Apparaten. Hörspiel

Intermedium records, München 2002, ISBN 3934847706
CD, 18,90 EUR

Thomas Brasch: Nachlaß

Wenn man aber geduldig (und ohne Furcht, den Boden unter den Füssen zu verlieren) in dieser riesigen Fundgrube gräbt, dann stösst man auf Verse, die nachhallen: «Als Gott den Menschen schuf / mit leichter Hand und schrägem Blick / gab er ihm auch einen Beruf / und um den Hals einen Strick.» Unüberhörbar ist dieser Vierzeiler am Brecht-Ton geschult, der aber wird zum Beckett- Sound modifiziert: Es ist ein lakonischer Brecht, dem ein noch lakonischerer Beckett einen Strick um den Hals gelegt hat. / Martin Krumbholz, NZZ 14.11.02

Thomas Brasch: Wer durch mein Leben will, muss durch mein Zimmer. Gedichte. Hrsg. von Fritz J. Raddatz und Katharina Thalbach. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2002. 204 S., Fr. 29.60.

Das Leben ist schön

Günter Kunert befreit sich unentwegt von seinem leicht entfessselbaren Gedächtnis. Mit seinem Verstummen kann nur rechnen, wer ihm vorschnell*) die letzte Altersstufe als Fatalist zuschreibt. Günter Kunert ist davon weit entfernt. Die benachbarte Sarah Kirsch erfährt den Dichterfreund alltäglich und entlastet uns von aller Fatalisten-Furcht. „Machen Sie sich bitte um Kunert gar keinen Kopp, wenn seine Exkurse und Alexandriner auch so gänzlich hoffnungslos scheinen, führt er ein geselliges Leben und reist mit Marianne und den eigenen Pferden.“ Bei allem Zerstörungswissen in der poetischen Bilanz von So und nicht anders, immer hat es Günter Kunert gewusst, das Leben ist schön. / Jürgen Verdofsky, FR 14.11.02

Günter Kunert: So und nicht anders. Ausgewählte und neue Gedichte. Carl Hanser Verlag, München 2002, 174 Seiten, 14,90

*) „vorschnell“ ist gut. Tut man (vom Neuen Deutschland bis, tschuldigung, zur Süddeutschen) das nicht seit Jahrzehnten? (mg)
(vgl. Rezension der SZ vom 20.3. zitiert bei Perlentaucher)

Abebooks-Literaturwettbewerb

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Verfassen Sie eine Ballade rund um das Thema „Winter“ und senden Sie sie per E-Mail an unsere Redaktion.
Die schönsten Balladen präsentiert Abebooks exklusiv auf seinen Seiten. Dazu gibt es tolle Preise zu gewinnen! / 14.11.02

Wespennest

NZZ bespricht Neuerscheinungen aus baltischen Ländern, darunter eine Ausgabe der österreichischen Literaturzeitschrift „Wespennest“:

Eine Entdeckung ist die lettische Schriftstellerin Inga Abele (geb. 1972), die mit einer Erzählung und einer Lyrikauswahl vertreten ist. Abele verfügt über die Gabe präziser psychologischer Beobachtung, die sie in eine ebenso knappe wie prägnante Sprache zu fassen versteht. Wertvolle Einsichten vermittelt schliesslich ein Interview mit der wohl bekanntesten Lyrikerin aus dem Baltikum, Amanda Aizpuriete (geb. 1956). Von ihr liegen bis jetzt drei Gedichtbände auf Deutsch vor. / NZZ 13.11.02

Claudia Sinnig: Litauen. Ein literarischer Reisebegleiter. Insel-Verlag, Frankfurt am Main 2002. 312 S., Fr. 18.40.

Hugo-Ball-Förderpreis für Jacobs

Den Förderpreis zum Hugo-Ball-Preis der Stadt Pirmasens (3 750 Euro) erhält der Lyriker Steffen Jacobs. / Pirmasenser Zeitung 13.11.02

Georgebiographie

In der NZZ bespricht Stefan Breuer eine amerikanische Georgebiographie , in der ihm Homosexualität offenbar endgültig nachgewiesen wird (so what?) – und mehr:

Norton spricht zwar nicht geradezu von Präfaschismus, lässt aber seine Leserschaft nicht im Unklaren darüber, dass er im George-Kreis eine der Quellen des NS sieht – eine Auffassung, die gewiss nicht schlechterdings falsch ist, die aber richtig nur in dem Masse wird, in dem auch die erheblichen Unterschiede benannt werden, die zwischen beiden bestehen: die weitaus entschiedenere Akzentuierung des «reinen» Charismas bei den Georgianern und die noch entschiedenere Ablehnung, die diese den Hauptmerkmalen der Moderne, der funktionalen Differenzierung und vor allem der formalen Rationalisierung, entgegenbrachten – Einstellungen, zu denen es bei den Nationalsozialisten kein Pendant gibt. / NZZ 13.11.02

Robert E. Norton: Secret Germany. Stefan George and His Circle. Cornell University Press, Ithaca und London 2002. 847 S., $ 49.95.

Kuno Raeber

Hier wird solche Konzentration zum Prinzip erhoben, mit dem Ziel, lyrisches Sprechen vom historisch-mythologischen «Mobiliar» zu befreien: «Nur noch die paar alten Bilder, die seit jeher in mir lagen.» Ein ganz neues Element bringt dann 1985 der Band «Abgewandt Zugewandt», nach einer Zeile aus dem Gedicht «Begegnung» von C. F. Meyer betitelt. Er konfrontiert hochsprachliche Gedichte mit thematisch verwandten «alemannischen» in Raebers Luzerner Dialekt, in denen eine kindhaft-unverstellte Neugier bedrohlich-absurde Visionen hervorbringt: ein höchst eigenwilliger Beitrag zur Deutschschweizer Mundartlyrik. / Martin Kraft, Landbote 13.11.02

Kuno Raeber: Werke in 5 Bänden. Band I: Lyrik. Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München/ Wien. 464 Seiten

Tom Paulin

Der irische Dichter Tom Paulin darf nicht an der Harvard University lesen, nachdem Studenten wegen israelkritischer Äußerungen massiv gegen seine Einladung protestiert hatten.
Mr Paulin, who is lecturing at New York’s Columbia University but is a member of Hertford College in Oxford, told the Egyptian newspaper al-Ahram Weekly last April that American-born settlers in the occupied territories „should be shot dead. I think they are Nazis, racists, I feel nothing but hatred for them.
Schon im vergangenen Jahr hatte es Proteste gegeben wegen eines Gedichts in der Zeitung „Observer“, in dem es hieß:

„another little Palestinian boy/ in trainers jeans and a white teeshirt/ … gunned down by the Zionist SS“ / Guardian 14.11.01

Mehr: Boston Globe 13.11.02 – Al- Ahram 580/ 2002 – FAZ 18.11.02

Poet’s Choice

Edward Hirsch features a poem by Giuseppe Ungaretti. / The Washington Post 11.11.02

Joyce: Liebes- und musiktrunken

«Strings in the earth and air / Make music sweet / Strings by the river where / The willows meet.» lauten die ersten Zeilen: «Chamber Music» nannte Joyce die Sammlung, die 1906 seine erste Veröffentlichung überhaupt war, 36 Gedichte, ein wenig «pretiös» (Senn) im Vokabular und im schwärmerischen Ton zugleich «konventionell», Liebeslyrik, die er mit gemischten Gefühlen auf den Weg schickte und wenige Jahre später milde in sein Leben einordnete: «When I wrote them I was a strange lonely boy, walking about by myself at night and thinking that some day a girl would love me» (an Nora, 1909). / Landbote 11.11.02

Christian-Wagner-Preis für Donhauser

Die Leonberger Kreiszeitung (sic) druckt Auszüge aus einer Lobrede Michael Brauns auf Michael Donhauser (zur Verleihung des Christian-Wagner-Preises ):
Denn es gibt etwas, was diese Lesart (der Naturmagie, d. Red.) stört, etwas, das nicht aufgeht in der unio mystica zwischen Dichter und Naturding. Es ist das zögerliche, stockende, mitunter auch bewusst stotternde, antigrammatische Sprechen (. . .) ein behutsames Drehen und Wenden der Wörter und Satzteile, ein kurzer Moment des Innehaltens vor der Sprache, eine auch nur geringe syntaktische Inversion – und schon kommt hier der Automatismus des Sprechens ins Stocken. Je näher der Lyriker ein Wort ansieht, desto ferner blickt es zurück.
Siehe auch Stuttgarter Zeitung 11.11.02

Der Prophet kommt im eigenen Land…

… an: Nürnberg hat damit begonnen, den in Schwabach geborenen Dichter Gerhard Falkner zu ehren, berichten die Nürnberger Nachrichten , 11.11.

Jeder Zeit andere Gedichte

Felix Philipp Ingold: «Jeder Zeit andere Gedichte». Droschl Verlag, Graz 2002. Fr. 23.-

/ St. Galler TAGBLATT , 11. November 2002 – In der gleichen Zeitung stand am 8.11. die Meldung, daß 1100 Jahre alte, mit Neumen aufgezeichnete gregorianische Gesänge des „Codex Sangallensis 390-391“ jetzt aufgeführt wurden.