Nicht mal das

238 Wörter, 1 Minute Lesezeit

Pavlo Korobtschuk

ICH KANN NICHT

ich kann nicht pathetisch und patriotisch dichten,
die Helden des Volkes besingen, die im Grund
nur ihren Job tun, wie sichs gehört

ich umgehe die Nachrichten vom Kampffeld
ich lausche dem monotonen Rauschen der Autos
hinter dem Fenster, wie dichtem Regen

ich weiß, dort kämpfen unsere Leute, und dieses Wissen wärmt.
Blut und Leichen – auf beiden Seiten – davon
haben wir bereits genug gesehen

die Wunde am Oberschenkel vom Wintermajdan
ist längst verheilt, manchmal juckt sie ein wenig
und dies ist keine Allegorie

seit einem halben Jahr dichte ich nicht, auch dies ist kein Gedicht
vielleicht bin ich alt und unsensibel geworden
manchmal will ich sogar mein Abendessen anbrüllen

in jedem von uns wurde – so tückisch! – das niederträchtige,
abscheuliche Gefühl der Mißachtung, des Hasses gegen Opponenten gesät
Bastarde – Arschlöcher – macht sie kalt – und so weiter

was ich sagen will – wenn das alles einmal
vorüber sein soll, laßt uns alle Gedichte schreiben,
die schöner sind als dieser wackelige Therapie-Versuch

schreibt, daß die Liebe wie eine warme Badewanne ist
mit Kiefernölduft, was übrigens
einen positiven Einfluß auf Atemwege hat

schreibt nicht über gerettete Verletzte
über das wiedereroberte Lysytschansk, über Därme und Blut
schreibt lieber über die Kiefernadeln

wenn ihr es könnt, denn ich kann nicht mal das

Aus dem Ukrainischen von Stefanya Ptashnyk, aus: Poesiealbum. Gedichte aus der Ukraine. Auswahl Jakob Waloscczyk. Wilhelmshorst: Märkischer Verlag, 2023, S. 33

Pavlo Korobtschuk, geboren 1984, ist Schriftsteller und Musiker.

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