Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Heute vor 80 Jahren, oder ein paar Tage früher, wurde der ungarische Dichter Miklós Radnóti auf einem Todesmarsch von deutschen Bewachern erschossen. Er hatte die Szene Tage vorher beiläufig beschrieben. Du fällst auf dem Marsch vor Entkräftung um und wirst erschossen. Die letzten Gedichte fand man blutverschmiert bei der Leiche. Drei Gedichte aus dem letzten Zyklus „Ansichtskarten“. Wie klingt die deutsche Sprache für Häftlinge auf dem Todesmarsch? Im Gedicht 4 steht zwischen den ungarischen Versen ein deutscher Satz, gebrüllt von einem SS-Aufseher, bevor er den Häftling erschießt: „DER SPRINGT NOCH AUF!“
Miklós Radnóti
(geboren am 5. Mai 1909 in Budapest; gestorben am 4. November oder 9. November 1944 bei Abda nahe Győr)
RAZGLEDNICÁK
2
Kilenc kilométerre innen égnek
a kazlak és a házak,
s a rétek szélein megülve némán
riadt pórok pipáznak.
Itt még vizet fodroz a tóra lépő
apró pásztorleány
s felhőt iszik a vízre ráhajolva
a fodros birkanyáj.
Cservenka,1944. október 6.
3
Az ökrök száján véres nyál csorog,
az emberek mind véreset vizelnek,
a század bűzös, vad csomókban áll.
Fölöttünk fú a förtelmes halál.
Mohács,1944. október 24.
4
Mellézuhantam, átfordult a teste
s feszes volt már, mint húr, ha pattan.
Tarkólövés. – Így végzed hát te is, –
súgtam magamnak, – csak feküdj nyugodtan.
Halált virágzik most a türelem. –
Der springt noch auf,* – hangzott fölöttem.
Sárral kevert vér száradt fülemen.
Szentkirályszabadja,1944. október 31.
*) Még felugrik (német).
2
Neun Kilometer von hier flammt von Häusern und Schobern
ein roter Schein.
Verstörte Bauern rauchen stumm ihre Pfeife
am Wiesenrain.
Hier wird noch gekräuselt der Weiher vom Fuße der Hirtin
die in sein Glitzern tritt
und mit dem Wasser trinkt ihre lockige Herde
ein Lämmerwölkchen mit.
Cservenka, 6. Oktober 1944
3
Vom Maul des Ochsen tropfen Blut und Speichel,
die Menschen urinieren alle Blut.
In Knäueln stinkend steht die Kompanie
und über uns der Tod heult wie ein Vieh.
Mohács, 24. Oktober 1944
4
Er stürzte neben mir. Sein Leib, gekrümmt, ward straff
wie eine Saite straff wird vorm Zerspringen.
Genickschuß. Bleib nur ruhig liegen, dacht ich,
die Kugel wird ein gleiches Los dir bringen.
Geduld bringt Rosen – ja des Tods, du Tor!
DER SPRINGT NOCH AUF! schrie gellend eine Stimme
Schlamm, blutvermischt, trocknet an meinem Ohr.
Szentkirályszabadja, 31. Oktober 1944
Anm. „Der springt noch auf" in der vorletzten Zeile im Original deutsch.
Deutsch von Franz Fühmann, aus: Miklós Radnóti: Ansichtskarten. Gedichte. Berlin: Volk und Welt, 1967, S. 90f.
Danke für dies bedrückende Gedicht, lieber Michael, aus den Zeiten, die einige Heutige verharmlosend als „dunkel“ oder als „Fliegenschiss“ verharmlosen.
LikeLike