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Veröffentlicht am 12. Oktober 2024 von lyrikzeitung
Zum 100. Geburtstag des Schweizer Lyrikers Walter Gross hier ein Briefwechsel in Gedichten mit Johannes Bobrowski.
Am 16. Dezember 1963 schrieb Gross einen Brief an Bobrowski, dem er fünf Gedichte beilegte, darunter dieses Bobrowski gewidmete und ihn zitierende.
An Bobrowski
Zeit ohne Angst
Der am Tisch mir gegenüber,
dem das Haar in den Nacken wächst,
der sein Brot bricht und schweigend
die Suppe löffelt,
während mir die Ader am Halse schwillt
vom zuviel an Unrecht noch und Not,
er ist's, mein Bruder.
Bleibe ich ruhig,
wenn er sagt: morgen,
es kommt der Tag, die Zeit ohne Angst,
schon ist der Fallwind im Tal,
von den Bäumen fällt die Last,
der Schnee.
Walter Gross - Winterthur/Schweiz
Bobrowski antwortete am 2.1.1964.
Antwort
Über den Zaun
deine Rede:
Von den Bäumen fällt die Last,
der Schnee.
Auch im gestürzten Holunder
das Schwirrlied der Amseln, der Grille
Gräserstimme
kerbt Risse ins Mauerwerk, Schwalbenflug
steil gegen den Regen, Sternbilder
gehn auf dem Himmel,
im Reif.
Die mich einscharren
unter die Wurzeln,
hören:
er redet,
zum Sand,
der ihm den Mund füllt – so wird
reden der Sand, und wird
schreien der Stein, und wird
fliegen das Wasser.
Johannes Bobrowski
Aus: Walter Gross: Antworten. Ausgewählte Briefe von und an Walter Gross. Hrsg. u.m.e. Nachwort versehen von Peter Hamm unter Mitarbeit von Erwin Künzli. Zürich: Limmat, 2005, S. 338f.
Kategorie: Deutsch, SchweizSchlagworte: Johannes Bobrowski, Walter Gross
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