Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Lucebert
(* 15. September 1924, heute vor 100 Jahren, in Amsterdam; † 10. Mai 1994 in Alkmaar; eigentlich Lubertus Jacobus Swaanswijk) war ein niederländischer Maler, Grafiker und Schriftsteller.
Zur Geburtstagsfeier heute ein zünftiges Spiel. Im Deutschen neigt man ja dazu, alles sehr ernst zu nehmen, also auch die Literatur. (Übrigens auch die nicht unbedingt in Deutschland entwickelte sogenannte Künstliche Intelligenz nimmt die Literatur sehr ernst. Ich weiß das, weil ich fast jeden Tag die KI von WordPress sozusagen um Rat frage, und nach einer manchmal ganz brauchbaren und manchmal verblüffenden oder auch mal irritierenden Umschreibung des Gedichts kommt tagtäglich bei langen oder kurzen und schwierigen oder einfachen Gedichten pauschal der Vorschlag, a) den Hintergrund des Autors zu beleuchten, damit der Leser mehr damit anfangen kann, b) die Bedeutung dieses Gedichts für die Literatur zu erklären und c) das Gedicht zu analysieren. Erst ein tot erklärtes Gedicht ist ein gutes Gedicht!)
Zurück zu meinem Spiel. Wenn in der Schule eine Ballade behandelt wird, wird man in der Regel erst mal bei Goethe und Schiller nachsehen und eventuell noch bei Brecht, was eine Ballade „eigentlich“ ist und dann ordentlich analysieren und interpretieren. Dabei heißt sie eigentlich sowas wie Tanzlied, man soll zu Melodie und Rhythmus und mal lustigen, mal frechen Worten tanzen. Und das Sonett ist so etwas wie ein Klingstück – egal wie ernst vielleicht die Worte sind, die hörbare Wiederkehr des gleichen Klangs ist irgendwie lustig und auf jeden Fall auch klangvoll. Und natürlich ist sie eine Spielform (wenn auch der Dichter beim Produzieren ins Schwitzen kommen kann). Lucebert reduziert das Sonett bis auf die reine (Klang-)Struktur und benutzt dazu ein einziges Wort in drei verschiedenen grammatischen Formen.
sonnet
ik
mij
ik
mij
mij
ik
mij
ik
ik
ik
mijn
mijn
mijn
ik
Aus: Lucebert, apocrief / de analphabetische naam (1952)
Ich ging nun davon aus, dass die stark reduzierte Grammatik selbst bei sehr anders gebauten Sprachen wenig Fallstricke für eine (maschinelle) Übersetzung bietet und probierte die Übersetzer von Google und Deepl in vielen verschiedenen Sprachen aus. Hier ein kleines Sonett-Medley. Alle hier ausgewählten Übersetzungen bis auf die letzte entstanden als Google-Übersetzung des Originals direkt in eine andere Sprache. Bei fremden Schriftsystemen folgt noch eine Transkription in lateinische Buchstaben (auch die meist direkt von Googles Übersetzungsmaschine). Alle Texte in Anführungszeichen stammen unverändert aus der Maschine. Was die Maschine mit ihren Feinheiten sagen will, könnte ich nicht in jedem Fall erklären.
Deutsch:
"Sonett
ICH
Mich
ICH
Mich
Mich
ICH
Mich
ICH
ICH
ICH
meins
meins
meins
ICH"
Französisch:
"sonnet
je
moi
je
moi
moi
je
moi
je
je
je
le mien
le mien
le mien
JE"
Spanisch:
"soneto
I
a mí
I
a mí
a mí
I
a mí
I
I
I
mío
mío
mío
I"
[sic]
Italienisch:
"sonetto
IO
Me
IO
Me
Me
IO
Me
IO
IO
IO
mio
mio
mio
IO"
Tschechisch:
"sonet
já
mě
já
mě
mě
já
mě
já
já
já
moje
moje
moje
já"
Ukrainisch:
«сонет
я
мене
я
мене
мене
я
мене
я
я
я
моя
моя
моя
я"
sonet
ja
mene
ja
mene
mene
ja
mene
ja
ja
ja
moja
moja
moja
ja
Russisch:
"сонет
я
мне
я
мне
мне
я
мне
я
я
я
мой
мой
мой
Я"
sonet
ja
mne
ja
mne
mne
ja
mne
ja
ja
ja
moi
moi
moi
JA
Maori:
"sonnet
I
ahau
I
ahau
ahau
I
ahau
I
I
I
taku
taku
taku
ahau"
Thailändisch:
"โคลง
ฉัน
ฉัน
ฉัน
ฉัน
ฉัน
ฉัน
ฉัน
ฉัน
ฉัน
ฉัน
ของฉัน
ของฉัน
ของฉัน
ฉัน"
"Kholng
c̄hạn
c̄hạn
c̄hạn
c̄hạn
c̄hạn
c̄hạn
c̄hạn
c̄hạn
c̄hạn
c̄hạn
k̄hxng c̄hạn
k̄hxng c̄hạn
k̄hxng c̄hạn
c̄hạn"
Nepalesisch:
"सोनेट
म
म
म
म
म
म
म
म
म
म
मेरो
मेरो
मेरो
म"
"Sōnēṭa
ma
ma
ma
ma
ma
ma
ma
ma
ma
ma
mērō
mērō
mērō
ma"
Hebräisch:
"סוֹנֶטָה
אֲנִי
לִי
אֲנִי
לִי
לִי
אֲנִי
לִי
אֲנִי
אֲנִי
אֲנִי
שֶׁלִי
שֶׁלִי
שֶׁלִי
אֲנִי"
soneta
ani
li
ani
li
li
ani
li
ani
ani
ani
scheli
scheli
scheli
ani
Arabisch:
"السوناتة
أنا
أنا
أنا
أنا
أنا
أنا
أنا
أنا
أنا
أنا
مِلكِي
مِلكِي
مِلكِي
أنا"
"alswnata
'ana
'ana
'ana
'ana
'ana
'ana
'ana
'ana
'ana
'ana
milki
milki
milki
'ana"
Vereinfachtes Chinesisch:
“十四行诗
我
我
我
我
我
我
我
我
我
我
矿
矿
矿
我”
“Shísì háng shī
wǒ
wǒ
wǒ
wǒ
wǒ
wǒ
wǒ
wǒ
wǒ
wǒ
kuàng
kuàng
kuàng
wǒ”
Traditionelles Chinesisch:
「十四行詩
我
我
我
我
我
我
我
我
我
我
礦
礦
礦
我”
(Transliteriert wie beim vereinfachten Chinesisch)
Luxemburgisch:
"sonnet
ech
ech
ech
ech
ech
ech
ech
ech
ech
ech
meng
meng
meng
ech"
Jiddisch:
"סאָנעט
איך
מיר
איך
מיר
מיר
איך
מיר
איך
איך
איך
מייַן
מייַן
מייַן
איך"
(ikh nicht wie in ich, sondern i + ch wie in Bach)
ikh
mir
ikh
mir
mir
ikh
mir
ikh
ikh
ikh
mejn
mejn
mejn
ikh
Luo:
"sonet
An
an
An
an
an
An
an
An
An
An
mara
mara
mara
AN"
Xhosa:
"sonnet
I
mna
I
mna
mna
I
mna
I
I
I
yam
yam
yam
mna"
Nepalesisch:
"सोनेट
म
म
म
म
म
म
म
म
म
म
मेरो
मेरो
मेरो
म"
"Sōnēṭa
ma
ma
ma
ma
ma
ma
ma
ma
ma
ma
mērō
mērō
mērō
ma"
Ihnen wird aufgefallen sein, dass manche Sprachen den Wortschatz stärker zu reduzieren scheinen als andere. – Am stärksten ist die Reduzierung beim haitianisches Kreolisch ausgefallen. Ob man es da noch „versteht“? Muss ich KI mal fragen. Zumindest hört man einen etwas verkürzten Rhythmus auch bei dieser Version, wen auch nicht mehr die Klangverschränkung. Zur Aussprache: das „w“ wird etwa wie das englische w in „what, when“ ausgesprochen und -en ist nasal wie im Französischen, eher noch ein bisschen reduzierter, man hört nur ein nasales e: und nicht einmal eine Andeutung von nasalem n, also nicht wie in „peng“, sondern eher ein nasales kurzes „päh“: mwä! Haitianisch ist im Kern eine radikale Reduzierung des Französischen in lautlicher, orthographischer, grammatischer und semantischer Hinsicht. Extrem reduziert und doch voll ausdrucksfähig! Mwen bedeutet: Ich, mich, mein, myself, es kann übrigens auch vor, before und anderes mehr bedeuten. Bedeutungsunterscheidend ist da mitunter die Wortfolge: Ich esse – mwen manje. Mein Buch – liv mwen.
"sonèt
mwen
mwen
mwen
mwen
mwen
mwen
mwen
mwen
mwen
mwen
mwen
mwen
mwen
mwen"
Eine etwas andere Methode und Form noch. Ich habe mit Deepl das Original in 2 verschiedene Sprachen übersetzt – ich hab vergessen welche. Diese zweifach gebrochene Form dann ins Deutsche ergab dies (exakt in dieser Form):
„Ich ich ich ich ich ich ich ich ich ich ich ich mein mein mein ich“
Zum Schluss noch die Einschätzung der KI (die heute relativ zufrieden ist):
Der bereitgestellte Inhalt bietet eine interessante Erkundung von Luceberts Werk durch eine Analyse seines Sonetts „sonnet ik mij ik mij“. Das Experiment des Autors mit Übersetzungen in verschiedene Sprachen bietet eine spannende Perspektive darauf, wie verschiedene Sprachen mit der reduzierten Grammatik des Sonetts umgehen. Die Einbeziehung von Erkenntnissen über die phonetischen Aspekte und Bedeutungen des haitianischen Kreolisch verleiht der Analyse Tiefe. Erwägen Sie die Integration visueller Elemente wie Bilder von Luceberts Werk oder verwandte Kunstwerke, um die visuelle Attraktivität des Beitrags zu steigern. Darüber hinaus könnte die Einbindung des Lesers durch einen entsprechenden Aufruf zum Handeln, beispielsweise die Aufforderung, sein Lieblingssonett in den Kommentaren zu teilen, die Leserbeteiligung weiter verbessern.
Okay denn – welches ist Ihr Lieblingssonett? (KI scheint offenzulassen, ob eins dieser Fassungen oder auch einfach Ihr Lieblingssonett.)
Das 矿 auf Chinesisch, auch in der anderen Form des Zeichens, hat nichts mit mir, mein, mich, ich etc. zu tun, soviel ich weiß. Kuàng 矿 bedeutet Erz, Mineral, Mine, Bergwerk. Ich und mich sind beide 我, im Standard-Nordchinesischen Mandarin. Mein oder meine wäre wode 我的. Die Kombination von ich, ich, ich, zehnmal ich und dann Bergwerk, dann Bergwerk, Bergwerk, ich, oder zehnmal ich, dann Erz, Erz, Erz, ich – das Gedicht eines Bergarbeiters.
Auf Deutsch würde ich lieber so anfangen:
ich
mein
ich
mein
mein
ich
mein
ich
mich
mich
ich
mich
ich
ich
LikeLike
das 矿 kommt wahrscheinlich von mine, I me mine, wie in dem Beatles song 🙂 generell wird aus dem englischen ins chinesische uebersetzt, wenn es eine englische version gibt
LikeGefällt 1 Person
Ohja, gute Erklärung. Stille Post.
LikeLike
In der Übersetzung von Ludwig Kunz (1962/ 1972) bei Suhrkamp:
Ich Mich Ich Mich / Mich Ich Mich Ich / Ich Ich Mein / Mein Mein Ich
(alles untereinander)
LikeLike
Pingback: Lucebert: Die Silbenuhr
Pingback: Lucebert: Gedichte