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Heute nur zwei Strophen aus Goethes Gedicht „Zu Howards Ehrengedächtnis“. Eingeleitet aber von einer kleinen Auswahl von Goethes Wolkenbeschreibungen in Prosa – drei vor und zwei nach seiner Lektüre des Engländers Howard.
Einmal versammeln die Berge ungeheure Wolkenmassen um sich her, halten sie fest und starr wie zweite Gipfel über sich, bis sie, durch innern Kampf elektrischer Kräfte bestimmt, als Gewitter, Nebel und Regen niedergehen, sodann wirkt auf den Überrest die elastische Luft, welche nun wieder mehr Wasser zu fassen, aufzulösen und zu verarbeiten fähig ist. Ich sah das Aufzehren einer solchen Wolke ganz deutlich: sie hing um den steilsten Gipfel, das Abendrot beschien sie. Langsam, langsam sonderten ihre Enden sich ab, einige Flocken wurden weggezogen und in die Höhe gehoben; diese verschwanden, und so verschwand die ganze Masse nach und nach und ward vor meinen Augen wie ein Rocken von einer unsichtbaren Hand ganz eigentlich abgesponnen.
Der ganze Himmel war mit einem weißlichen Wolkendunst umzogen, durch welchen die Sonne, ohne daß man ihr Bild hätte unterscheiden können, das Meer überleuchtete, welches die schönste Himmelsbläue zeigte, die man nur sehen kann.
… mein Führer machte mich aufmerksam auf einen langen Wolkenstreif, der südwärts, einem Bergrücken gleich, auf der Horizontallinie aufzuliegen schien: dies sei die Andeutung der Küste von Afrika, sagte er. Mir fiel indes ein anderes Phänomen als seltsam auf; es war aus leichtem Gewölk ein schmaler Bogen, welcher, mit dem einen Fuß auf Sizilien aufstehend, sich hoch am blauen, übrigens ganz reinen Himmel hinwölbte und mit dem andern Ende in Süden auf dem Meer zu ruhen schien.
Am ganz reinen Himmel, vor Sonnenaufgang, einige Streifen im Osten, die sich, wie sie herankam, in Zirrus auflösten, eben so die übrigen, im Norden und Zenit schwebenden, Streifen. Die Nebel aus der Saale verflossen sogleich in die Luft, legten sich an die Berge, schlugen als Tau nieder; das Wenige was empor kam zeigte sich auch gleich als leichtere Streifen. Gegen Süden zu fahrend sah man am Horizont, in der Gegend der Böhmischen- und Fichtelgebirge, gleiche Streifen, aber gedrängter über einander.
Eben so verhielt es sich Morgens bei Sonnenaufgang. Der ganze Himmel war mit einzelnem, einander berührendem Gewölk bedeckt, davon sich ein Teil in die obere Luft auflöste, ein anderer aber so zonig und grau herunterhing, daß man jeden Augenblick erwartete ihn als Regen niederfallen zu sehn.
Auf dem Wege nach Sandau, wo wir gegen Südost fuhren, sahen wir die sämtlichen Wolken-Phänomene in ihrer charakteristischen Mannigfaltigkeit, Abgesondertheit, Verbindung und Übergängen, als ich sie nie gesehen, und zwar in solcher Fülle daß der ganze Himmel davon überdeckt war. Das leichteste Gespinst der Besenstriche des Zirrus stand ruhig am obersten Himmel, ganze Reihen von Kumulus zogen, doppelt und dreifach übereinander, parallel mit dem Horizonte dahin, einige drängten sich in ungeheure Körper zusammen und indem sie an ihrem oberen Umriß immer abgezupft und der allgemeinen Atmosphäre zugeeignet wurden, so ward ihr unterer Teil immer schwerer, stratusartiger, grau und undurchscheinend, sich niedersenkend und Regen drohend. Eine solche Masse zog sich uns über das Haupt hin, und es fielen wirklich einige Tropfen. Da nun alles dieses in der mittlern Luft vorging war uns die Aussicht auf den Horizont nicht versagt. Wir sahen auf dem ganzen Halbkreis der entferntesten böhmischen Gebirge ein übereinander getürmtes Amphitheater von Kumulus liegen, davon die einzelnen wolligen Massen durch kräftigen Sonnenschein in Licht und Schatten gesetzt wurden. Der Wind hatte sich geändert, es war ein Südwest, der aber nun die untere Region zu affizieren schien. Und so dauerte der Konflikt zwischen der Atmosphäre und den Wolken den ganzen Tag über. Nach Sonnenuntergang jedoch und Aufgang des Mondes hatte sich der Himmel ganz aufgeklärt, so daß nur ganz leichte Zirrusstreifen zu sehen waren.

Die erste Strophe handelt von poetischen Versuchen, dem „ungebildeten Zufälligen“ der Wolkenbildung eine bestimmte Form zu geben (in einem Kommentar nennt er Shakespeare und den indischen Dichter Kalidasa). Die zweite Strophe beschreibt Howards Wolkenlehre. Ich mache auf die vorletzte Zeile aufmerksam und reiche darunter Goethes Kommentar zu dieser Zeile nach.
Nun regt sich kühn des eignen Bildens Kraft,
Die Unbestimmtes zu Bestimmtem schafft;
Da droht ein Leu, dort wogt ein Elefant,
Kameles Hals, zum Drachen umgewandt,
Ein Heer zieht an, doch triumphiert es nicht,
Da es die Macht am steilen Felsen bricht;
Der treuste Wolkenbote selbst zerstiebt
Eh er die Fern' erreicht, wohin man liebt.
Er aber, Howard, gibt mit reinem Sinn
Uns neuer Lehre herrlichsten Gewinn.
Was sich nicht halten, nicht erreichen läßt,
Er faßt es an, er hält zuerst es fest;
Bestimmt das Unbestimmte, schränkt es ein,
Benennt es treffend! – Sei die Ehre dein! –
Wie Streife steigt, sich ballt, zerflattert, fällt,
Erinn're dankbar deiner sich die Welt.
Aus: Johann Wolfgang Goethe: Gedichte 1800-1832. Hrsg. Karl Eibl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1998, S. 503.
Diese [Howards] Benennungsweise nun ist angekündigt und ausgesprochen in der vorletzten Zeile, wie folgt:

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