Klopstock 300

Heute vor 300 Jahren wurde Friedrich Georg Klopstock geboren. Man kennt die ungeheure Wirkung, die der Dichter auf die Zeitgenossen hatte, berühmt die Szene in Goethes „Leiden des jungen Werther“, als die jungen Leute nach einem Gewitter am Fenster stehen und mit dem Losungswort „Klopstock“ eine Andeutung von gefühlsmäßiger Nähe erscheint:

Wir traten ans Fenster. Es donnerte abseitwärts, und der herrliche Regen säuselte auf das Land, und der erqickendste Wohlgeruch stieg in aller Fülle einer warmen Luft zu uns auf. Sie stand, auf ihren Ellenbogen gestützt, ihr Blick durchdrang die Gegend, sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge tränenvoll, sie legte die Hand auf die meinige und sagte – Klopstock! – Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag, und versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Losung über mich ausgoß. Ich ertrug’s nicht, neigte mich auf ihre Hand und küßte sie unter den wonnevollsten Tränen. Und sah nach ihrem Auge wieder – 

Stark war auch die Wirkung auf viele spätere Schriftsteller, Friedrich Hölderlin, Johannes Bobrowski, Arno Schmidt, Volker Braun, Peter Rühmkorf … Heute wird er vielleicht weniger gelesen und rezipiert, aber wer weiß.

Zum Jubiläum habe ich ein Gedicht ausgesucht, das Klopstocks Enttäuschung von der Französischen Revolution ausdrückt, die er anfangs begeistert aufgenommen hatte. Darin sprechen zwei Nordamerikaner – also aus der Nation, die vielen als die fortschrittlichste und zukunftweisende galt, über ihre Enttäuschung von den „Franken“, also den Franzosen, die Freyheit versprachen, aber nicht hielten und statt dessen ungeheure Schrecken verbreiteten.

Metrisch ist es eine halbe Elegie, wie man schon an der Einrückung der geraden Zeilen erkennt. Die ungeraden Zeilen sind Hexameter, die geraden aber nicht wie beim elegischen Versmaß Pentameter, sondern Kurzverse, Halbverse mit unterschiedlicher Silbenzahl und Metrik. Keine Elegie, Elegie ist gemäßigt und reflektiert. Das gelingt nicht. Ich nenne es mal etwas hemdsärmlig eine abrutschende Rhapsodie, der nur noch erinnerte rhapsodische Aufschwung früherer Zeit stürzt immer wieder ab.

Zwey Nordamerikaner

Nichts von dem, was der Franke des Guten verhieß, und des Edlen,
Nichts von Allem diesen geschah;
Wie es auch mit entzückendem Ton die Beredtsamkeit aussprach,
Und die Begeistrung es hob.
Aber alles geschah, was je die stärksten der Worte
Schreckliches nanten, oder was nie
Selbst der Sprachen redendste nicht zu nennen vermöchte,
Alles, alles dieses geschah!
Und je schwärzer es war, je grausender, ungeheurer,
Desto öfter geschah's.
Ha was wählest du dir, dich zu trösten? blutige Thränen?
Oder der Franken ewigen Haß?
»Nein, die Thräne nicht, und nicht den Haß. Ich verachte
Jeden, der rasen die Rasenden ließ.«
Aber fluchest du nicht den Rasenden? »Wer zum Steine
Wurde, verstumt.«
Hätt' ich euch nur nicht gerührt, ihr Saiten, die von der vertilgten
Freyheit sangen, und gleich
Tönten dem ernsten klagenden Bach, der mit der Zipresse
Neben Begrabenen rauscht.
Denn ihr strebtet umsonst den tiefgetrofnen zu heilen;
Risset die Wunde nur auf.
Wer an dem Frühlingsmorgen der neugeborenen Freyheit
Meine Freuden empfand,
Der allein, und kein anderer fühlt den innigen Schmerz auch,
Welcher jetzo die Seele mir trübt.
O vergäß' ich auf immer! Denn Linderung wird mir, so lang mich
Kühlet ein Trunk aus Lethe geschöpft.

Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 2, Leipzig 1798, S. 222-224.
Permalink:
http://www.zeno.org/nid/20005175054
Ausgewählt nach und in der Textgestalt verglichen mit: Klopstock, Der Schoosshund. Auswahl aus den Oden. Poetische Bögen. Leipzig, Berlin, Frankfurt am Main 1997, S. 21f

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