DOBROVSKÝS TOD

Jan Skácel 

(* 7. Februar 1922 in Vnorovy; † 7. November 1989 in Brünn)

DOBROVSKÝS TOD *

Er glaubte er würde im Wald eine Pflanze finden 
die alle Kranken heilen
die Toten zum Leben erwecken könnte

Er selbst glich jenem Gewächs
ließ die tschechische Sprache aus dem Reich der Toten auferstehn

Damals im Winter
als er bei uns in Brünn im Sterben lag 
erblühten rings um die Stadt die Maiglöckchen 
bevor der erste Schnee fiel

Was bleibt über ihn sonst noch zu berichten

Er hatte blaue Augen
trug blaues Schuhwerk Mantel einen blauen Schal

Ein Gelehrter war er und ein schöner Mann

Und mußte doch so einsam sein 
als er in jenem einzigen ganz großen Augenblick

alles zu wissen bekam und alles Wissen für immer verlor

*) Josef Dobrovský (1753- 1829), Literatur- und Sprachhistoriker, verfaßte u. a. eine »Geschichte der böhmischen Sprache und Literatur« (1792; 1818).

Aus dem Tschechischen von Felix Philipp Ingold, aus: Jan Skácel: Ein Wind mit Namen Jaromír und andere Gedichte. Aus dem Tschechischen von Felix Philipp Ingold. Salzburg und Wien: Residenz, 1991 (2. Auf.), S. 21

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