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Zwei Auszüge aus einer Rezension von Alexandru Bulucz zu Gedichten von Werner Söllner:
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Eines ist sicher, da würgt jemand an seinen Verfehlungen. Dieses Würgen: ein persönliches, ein poetologisches. Das eine ist nicht ohne das andere zu denken. In der Juryerklärung zur SWR-Bestenliste November, auf der Knochenmusik Platz 5-6 belegt, heißt es zu Söllner vorsichtig: „Er begann mit dem Schreiben von Gedichten und Kinderbüchern in den Zeiten der Diktatur in Bukarest. Schuldlos kommt man da nicht heraus.“
Aber führt besagtes Würgen des Schuldigen (um in der Sprache der SWR-Jury zu verbleiben), führt Einsichtigkeit, führt die Tatsache, dass man sich zu den eigenen Fehlern bekennt, zur Lösung des Problems?
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Vielleicht ist Söllner der Dichter der schönen Gedichte. Verglichen mit den vielen der aktuell eingesetzten lyrischen Formen dürften seine als eher klassisch gelten. Seine Sprache ist wenig emphatisch und zurückhaltend, sie ist bilderreich, präzis und nicht verrätselt, so als sei diese Lyrikform die einzige, für die man in einer nicht unter Zensur leidenden Staatsform plädieren könnte. Aber man hat den Eindruck, durch die Wirkung dieser Sprache auf den Leser, durch das, was sie in einem auslöst, würden die Gedichte implodieren, so viel enthaltene Semantik schwebt insgeheim in ihrem Hintergrund mit. Jede Zeile ist für sich eine semantische Einheit, lücken- und ausnahmslos. Zu Recht schrieb Heinrich Detering einst vom Klangzauber der Dichtung Söllners. Söllner konnte das Hören in seinem nach zwei Semestern aufgegebenen Physikstudium schulen: „Und da habe ich exakt zwei Semester lang Physik studiert, weil ich Physik (…) ungeheuer faszinierend finde. (…) Und während der beiden Semester habe ich herausfinden müssen (…), dass zum Physikstudium auch stundenlange Aufenthalte im Phonetiklabor gehören, wo man Glasröhren reiben musste, damit die Sandfüllungen dieser Glasröhren Wellen nachbilden, damit wir die akustischen Wellen verstehen.“ (Söllner 2012 im Gespräch mit Bernd Leukert, dem Herausgeber der Reihe, in der Knochenmusik erscheint.) Anders lässt es sich kaum sagen: Söllners Dichtkunst grenzt an Perfektion. / Signaturen
Werner Söllner: Knochenmusik. Gedichte. Mit einem Nachwort von Eva Demski. Frankfurt am Main (Edition Faust) 2015. 72 S. 18 Euro.
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