Parasitär

Auszug 1: Dummkopfelegien


Kristian Kühn:
Mich würde interessieren, was du meinst, wenn du sagst, du arbeitest dich „seit einer Weile“ an ihm ab. Vor allem, was dabei den Begriff der „Sprachwaschung“ betrifft, von der Brecht als Ausgangspunkt seiner Unterscheidung spricht und die er bei seinen Svendborger Gedichten vorzunehmen versucht.

Norbert Lange:
 „Sprachwaschung“ ist ein gutes Wort. Mir gefällt wie Brecht mit dem Begriff im Grunde sagt, dass die profane und die pontifikale Linie in der deutschen Lyrik bei ihm wieder zusammenlaufen. Schwingt dabei eigentlich noch das Sakrament der Waschung mit? Oder ist das, wenn der Begriff seine Epigramme prägt, schon das Säurebad in der Fabrik?

Wenn ich Abarbeiten sage, meine ich das rein praktisch. Ich hab 2012 angefangen, Rilkes Duineser Elegien zu benutzen, um aus ihrem Wort- und Buchstabenvorrat Gedichte zu schreiben. Dabei bearbeite ich die Zeilen einer Elegie solange, bis sie zu einer Dummkopfelegie geworden ist. Ich nutze dafür verschiedene Techniken, versuche den Prozess aber so einfach wie möglich zu halten. Den größten Spass habe ich beim Falten: Ich nummeriere Rilkes Zeilen und sie werden an zwei, drei Stellen, selten mehr, zusammengeschoben, bis die neue Zeile stimmt. Schreiben findet also nicht am Rechner statt oder auf einem Blatt, sondern mit Zetteln, die ich auf dem Schreibtisch verteilt habe. Ist von Rilkes Zeilen keine mehr übrig, ist die Arbeit zuende, oder ich beginne neu oder fange an, die entstandene Dummkopfelegie in einen weiteren Text zu übersetzen. Das Ganze entwickelte sehr schnell eine Dynamik mit ihr eigenen Regeln und Regelverstößen, unter anderem weil die grammatikalischen und klanglichen Ökonomien der Rilke-Texte sich so sehr unterscheiden, dass ich mit denselben Ansätzen nicht überall weiterkomme. Im Moment arbeite ich mich an seiner Zweiten ab, bei der ich mich darauf verlegt habe, drei bis vier Zeilen mehrmals zu falten, um aus ihnen 2-5 hebige Vierzeiler zu bauen, die sich ganz lyrisch reimen.

Meine Beschäftigung mit Rilke begann zufällig. Inzwischen ist sie also zu einem Schreibvorhaben geworden, das mich hoffentlich noch eine Weile produktiv beschäftigen wird. Als die ersten Dummkopfelegien 2013 in der Edit erschienen, hat ein Kritiker geschrieben, dass ihr Verfahren nicht parodistisch wäre sondern parasitär. Das stimmt. Mir gefällt der Gedanke, denn so nannte man in der Antike erst die Vorkoster auf den Opferfesten und dann generell all die Schausteller und „Schießbudenfiguren“, die auf den Festen der Reichen für eine Mahlzeit zu allem bereit waren, woran die Gäste sich erfreuten.

Auszug 2: Rilke und wir

Die Ökonomie zwischen dem Dichter Rilke und seinen Mäzenen funktioniert gut, eine Idylle in einer orphisch geprägten Tradition, systemisch alles in Ordnung! Wenn es ihm in den herrschenden Zuständen blendend geht, wieso etwas ändern? Witzig finde ich, dass Rilke ein Image pflegte, in dem das poetische Kalkül von der Demutsgeste eines sensiblen Kopfes verschleiert wird. Dabei ist er ebensowenig ein Sprachrohr wie ein Stümper. Der Unterschied zu den römischen Elegiendichtern ist, dass er in seinen Gedichten (und seinen Briefen!) sein soziales Umfeld nicht mit der eigenen Lächerlichkeit unterhält, sondern mit seiner „Transzendenz“. Umso schlimmer, könnte man meinen, wenn er die Figur des Sensibelchens spielt, um daraus Kapital zu schlagen. Nur, wo liegt heute der Unterschied? Vom beruflichen Standpunkt aus spielen Preise eine Rolle; Bücher sollten in nicht zu großen Abständen erscheinen, um AutorInnen im Gespräch zu halten; eine Polemik oder ein Diskussionsbeitrag definiert Gräben und schließt Allianzen … Rilke würde sich wohlfühlen.

Wo man kritisch einem Literaturbetrieb gegenübersteht – und wenn auch nur als Popanz, was schliesslich in beide Richtungen funktioniert – verwendet man dessen Infrastruktur und Verhaltensregeln. Auch die Poesie hat ihre Castings und Events, die Lyrik-Szene funktioniert als soziales Netzwerk, dessen Währungen Anerkennung und Einfluss sind. Und Identität scheint das Feld zu sein, auf dem Dichterinnen und Dichter wetteifern. Natürlich ist der Vergleich ungerecht. Zugespitzt ist das aber eine Prämisse meiner Dummkopfelegien: Dichter, auf der Seite welcher Dichotomie auch immer sie sich positionieren, sind Hochstapler, Schausteller wie die Parasiten, von denen ich gesprochen habe. Sie leben davon, ihrer Tätigkeit ein Mäntelchen umzulegen, mit dem sie die Aufmerksamkeitsökonomie beeinflussen. Und so gesehen könnte auch Brechts „Sprachwaschung“ nicht nur ideologisch bedingt sein. Dass es nicht immer um Distinktion geht, ist mir klar. Man kommt mit dem Schreiben inhaltlich weiter, wenn man den eigenen Ansatz so deutlich wie möglich fasst, oft eben in Abgrenzung zu anderen Ansätzen. Das führt manchmal zu indifferenten Pauschalurteilen. Doch was wäre wohl poetologische Redlichkeit? Wenn die Dichterin Ann Cotten beispielsweise von einer Beliebigkeit in der jungen Lyrik spricht und in ihren Polemiken anhand einzelner Kollegen kritisiert, wie vor einer Weile geschehen, wirkt das vielleicht, als wolle sie einen Poesiebegriff stärken, den sie der von ihr wahrgenommenen Willkür entgegensetzen möchte. Ich frage mich aber immer noch, welcher das sein könnte.

/ 2 Auszüge aus einem Interview bei Signaturen

Brecht aus seinem Arbeitsjournal 1940

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