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Der Titel des stattlichen Gedichtbandes „Das Imaginäre und unsere Anwesenheit darin“ von Horst Samson, ediert 2014 beim getreuen Verleger südosteuropäischer Literatur Traian Pop in Ludwigsburg, hat mich ins Grübeln gebracht. Sind wir im Imaginären anwesend oder ist das Imaginäre in uns präsent? Wohl beides, zwei Seiten einer Medaille. Bei Horst Samson muss man auf der Hut sein, denn er stellt Wörter und deren gängige Bedeutung in ganz unerwartete, erstaunliche Zusammenhänge, gedanklich und emotional. Dies gehört gewiss zur Eigenart der Dichtung überhaupt. Doch die lyrischen Texte des in der Bărăgan-Deportation geborenen, im Banat aufgewachsenen Dichters – er ist durch seine Lehrerausbildung und Familie auch Siebenbürgen eng verbunden – sprechen den Leser an durch einen originellen Sprachstil und eigenständig frische poetische Bilder, Vergleiche und Metaphern.
(…) Der Begriff eines „poetischen Chronisten der Auswanderung“ ist hier weiter zu fassen. Dem Dichter geht es nicht so sehr um die Spiegelung des historischen Vorgangs, sondern um dessen Hintergründe und zerstörerische Wirkung auf das Leben der betroffenen Menschen, mit denen er sich identifiziert. An Protest-Gedichte im engeren Sinn – wie jene gegen Willkür und Gewalt in der kommunistischen Diktatur, gegen das Unwesen des Geheimdienstes – fügen sich Verse über Schuld und Verrat. Selbst Bilder der Landschaft und Dinge des Alltags werden zu Zeichen der bedrückenden Innenwelt des Dichters, selbst in thematisch so verschiedenen Gedichten wie „Bei den Sonnenblumen“ oder „Nachruf auf meine Schreibmaschine“: „Sie wusste alles über mich (…) und schrieb/ meine verkorkste Biographie mit, die Historie/ der Familie, Krieg, Deportation, Erniedrigungen (…)/ Doch ich wusste, kein Wort, kein Wort/ würde sie verraten (…)“. / Walter Engel, Siebenbürgische Zeitung
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