24. Niedergang der Kritik

Die allgemeine Zeitungskrise hat auch die Feuilletons der überregionalen Blätter erfasst. Besonders deutlich lässt sich das am Beispiel der Literaturkritik beobachten, sagt der Chefredakteur des Online-Kulturmagazins „Perlentaucher“, Thierry Chervel.

Thierry Chervel, Chefredakteur beim Online-Kulturmagazin „Perlentaucher„, kann diese Entwicklung mit Zahlen belegen. Sein Magazin wertet täglich die Buchrezensionen der überregionalen Zeitungen aus. In diesem Bereich sei rein quantitativ ein „schmerzhafter Rückgang“ zu beobachten, sagte Chervel im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Im Jahr 2001 habe der „Perlentaucher“ noch 4330 Kritiken auswerten können, im Jahr 2013 dagegen nur noch 2200.

Und noch einen zweiten Trend beobachtet Chervel mit Sorge. Er spricht von einer „Tendenz zur Provinzialisierung„. Früher seien in den Feuilletons auch viele Bücher aus kleineren Verlagen und von ausländischen Autoren besprochen worden. Die Zeitungen hätten sich durch „Kosmopolitismus“ ausgezeichnet. Heute dagegen gebe es eine Tendenz zur Konzentration auf den deutschen Betrieb, sagte Chervel, auch durch die wachsende Bedeutung des Deutschen Buchpreises. „Man konzentriert sich auf das, was am populärsten ist.“ / Joachim Scholl, DLR

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  1. 2013 und 2014 waren es laut Perlentaucher 71 Lyrikbände, die von unseren überregionalen Blättern rezensiert worden sind – allen voran Bücher, die bei Suhrkamp und Hanser erschienen. Von Kookbooks abgesehen, tauchen Gedichtbände aus Kleinverlagen wie Edition Voss, Poetenladen, Ralf Liebe oder Rimbaud nur vereinzelt auf. Dabei veröffentlichen die weitaus meisten Lyrikerinnen und Lyriker ihre Werke in solchen Mini-Verlagen, über deren große Anzahl man sich beispielsweise in den Monographien „Aus dem Hinterland“ und „Kiesel & Kastanie“ von Theo Breuer informieren kann. Aber nur sehr wenige von ihnen finden in den überregionalen Blättern Beachtung. Wie schrieb doch Richard Kämmerlings, leitender Feuilletonredakteur bei der Tageszeitung „Die Welt“ und für die Beilage „Die literarische Welt“ verantwortlich, am 6. Dezember 2014 in einer Rezension: „Man kann es den Autoren nicht verdenken, dass sich kaum einer an die harte und brotlose Arbeit des Verseschreibens macht.“ Wie bitte? Kaum einer? Eine derartige Einschätzung sagt schon einiges über die erbärmliche Wahrnehmung heutiger Lyrik in der dünnen Luft des „großen Feuilletons“ – 71 Lyrikbände in zwei Jahren.

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