44. H.D. und Sappho

— Wie wird gesprochen? Eigenartig bildhaft, bildkräftig. Konkrete Bilder, die Ezra Pound bewunderte und von Imagismus sprechen ließ. Metaphern, die in konkrete Bilder zurückverwandelt sind. Bilder, die nicht eigentlich schildern, sondern auftreten wie handelnde Personen im Drama. Hart zupackende Verben. Knappe, harsche Attribute, die wie Kieselsteine in der Hand liegen. Konkret und enigmatisch zugleich.

— Wovon handelt diese Sprache? Wieviel Augenblick und wieviel Mythos kommt hier zu Wort? Ist es, wie Eileen Gregory* uns nahelegt, die Gestalt der SAPPHO, die hier auflebt, überraschend neu und so fern dem Bild, das die Spätromantik von ihr gezeichnet hat? Erkennen wir SAPPHO? Und hinter ihr die Gestalt der Gottheit, die sie besingt?

(…)

[Eileen Gregory] betont aber auch das Gefühl der Distanz der modernen Frau und Dichterin gegenüber dem Lesbos SAPPHOs, derer H.D. sich tief bewußt war. Eine Distanz, der sie durch radikale Strenge ihrer Bildsprache Ausdruck gab, die alle überkommene Metaphernpoesie vergessen macht.

(…)

Daß sich von SAPPHOs Werk nur Bruchstücke erhalten haben (Zitate und Verweise bei hellenistischen Dichtern und ein Sammelsurium von Papyrusfetzen, die erst in jüngerer Zeit entdeckt wurden), mag nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, daß auch H.D. bei aller Gemessenheit sprunghaft und fragmentarisch schreibt, ihre Gedichte oft in eine numerierte Folge von Einzelpassagen auflöst, in denen die sprechenden Stimmen sich abwechseln, einander ergänzen oder widersprechen und zusammengenommen enigmatisch bleiben, rätselhaft offen wie die dem Leben erwartungsvoll geöffnete Seele, deren Regungen hier laut werden. Gedichte, die für sich genommen und als Gedichtfolge Offenheit und Geschlossenheit zugleich präsentieren, die nicht assoziativ, sondern pointiert gesprochen und bewußt komponiert sind, zugleich aber offen für jene Mythen, die um vieles älter sind als die, die SAPPHO lebendig hielt, offen für das ganze von der menschlichen Stimme belebte All: Wind, der befruchtet und zerstört, Salz, das Bitternis beisteuert zur Süße, und See, die Gefahrenreiche, aus der alles Leben stammt.

/ Günter Plessow, aus: See Garten – H.D. und ihre Sappho. In: Signaturen

* Eileen GREGORY, Philologin, University of Dallas. H.D. and Hellenism. Classic Lines (1997); Rose Cut in Rock: Sappho and H.D.s Sea Garden (1986), reprinted in: Susan Stanford Friedman / Rachel Blau DuPlessis (ed.): Signets: Reading H.D. (1990).

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