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Ich habe viele meiner russischen Freunde verloren. Ich kann diese Begeisterung in den Augen nicht sehen, wenn von „Anschluss“ die Rede ist oder von „Annexion“ oder davon, dass die Ukrainer „bald nichts mehr zu essen haben werden und dann selbst darum bitten werden, sich mit uns zu vereinigen“. In Moskau heuert man ukrainische Gastarbeiter mit Schadenfreude für die allerunqualifiziertesten Arbeiten an. Ein ungeheurer Ausbruch von Patriotismus.
In keinem Restaurant bekommt man mehr Krimsekt, alles wurde bei Siegesfeiern ausgetrunken. Ständig ist davon die Rede, dass wir ohne Gefühle von Gotterwähltheit, ohne imperiale Emotionen gar nicht mehr wir wären, das russische Volk. Vor den Einberufungskommissionen drängen sich russische Freiwillige, die es den „Bandera-Leuten“ zeigen wollen.
Mich hat Gorbatschow erstaunt. Selbst er ließ sich von der nationalistischen Welle erfassen und erklärte, die Krim hätte schon längst heimgeholt werden müssen. Dass die historische Gerechtigkeit wiederhergestellt sei. Da allenthalben die antiwestliche Hysterie angefacht wird, redet auch er nicht mehr vom europäischen Weg, von der Partnerschaft mit Europa, von allgemeinmenschlichen Werten.
Wer nicht jubelt, ist ein Volksfeind. Gehört zur fünften Kolonne, zu den Finsterlingen vom State Departement. Das stalinistische Vokabular ist vollständig wiederhergestellt: Verräter, Abtrünnige, Helfershelfer der Faschisten. Mit dem einzigen Unterschied, dass die Stalinisten jetzt orthodox sind. In Kaluga tötete während eines Betriebsfestes ein Bankangestellter einen Kollegen. Die beiden stritten über die Ukraine.
Am verhasstesten sind jetzt die Liberalen. Die Liberalen sind schuld an den verfluchten neunziger Jahren, am Verlust des Imperiums. Das Volk verlangt, die Wohnungen der Liberalen zu konfiszieren, sie einzusperren, zu erschießen. Das von Gott erwählte Volk! Das Fernsehen führt die Feinde vor. Etwa den bekannten Rockmusiker Andrej Makarewitsch, dem alle Auszeichnungen und sein Orden für Verdienste ums Vaterland aberkannt werden sollen. / Svetlana Alexijewitsch, FAZ
dafür hab ich zuviele pöbelkommentare gelesen, anonyme oder pseudonyme. hier auf innenpolitische „klarnamen“-debatten zu verweisen finde ich ein autoritätsargument. im übrigen ist klarname ein wort aus geheimdienstjargon. für mich ist mein name mein name und kein klarname.
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ich habe hier offensichtlich eine bildungslücke und leide (ev leider) an bequemlichkeit.
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und ich schließe jetzt diesen „offensichtlich“ wenig ergiebigen thread, eh noch mehr selbstbezichtigungen kommen 😀
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Zu Genosse Gorbatschow:
Gorbatschow hadert mit seiner eigenen Geschichte, seinem Lebenswerk. Denn er wird in der westlichen(, politischen) Welt falsch beurteilt, er wollte nie die Sowjetunion zugrunde gehen lassen, wofür er aber gefeiert, mit Preisen ausgezeichnet und ihm gratuliert wird. In Russland hingegen (man muss es sagen) wird er verachtet und zum Unpatrioten erklärt, da er den Revolutionen in den Teil- und Unionsrepubliken nicht Einhalt geboten hat und als letzter Generalsekretär der SU in die Geschichte einging.
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gibt es irgendeinen grund, eine meinung anonym oder pseudonym („Magadan Kei.ne xinpunctocomma@googlemail.com„) zu äußern? sollte sich nicht langsam herumsprechen, daß eine meinung ohne namen wertlos ist. früher warf man anonyme post in den papierkorb, im netz gilt es als normalfall. besser werden die debatten dadurch nicht.
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besser werden debatten auch durch klarnamen nicht und meinungen ohne namen für wertlos zu halten klingt mir doch etwas sehr nach autoritätsargument, denn gründe, warum eins (zb ich) sich für anonymität entscheidet, gibt es tatsächlich viele, nicht alle können es sich leisten, auf anonymität zu verzichten, erklärt wird das zb hier
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