37. Die Eiserne Lerche

… bereits Herweghs anonym erschienener Erstling, die Gedichte eines Lebendigen, sorgt 1841 für Furore und macht den 24-Jährigen zum Bestsellerautor. Aus dem Schweizer Exil nach Deutschland geschmuggelt und oft zum Wucherpreis unterm Ladentisch verkauft, überflügelt das verbotene Bändchen in wenigen Monaten sogar Heines Buch der Lieder.

Es ist ein Fanal der Hoffnung für die demokratische Opposition unter dem Metternich-Regime, die seit dem Hambacher Fest 1832 die Faust nur noch in der Tasche zu ballen wagt. Die verbotenen Verse sind schnell in allen deutschen Königreichen, Klein- und Kleinststaaten verbreitet. Auch Studenten, die sich kaum eigene Bücher leisten können, rezitieren, singen die rebellischen Hits, einzelne Zeilen bekommen Flügel: „Wir haben lang genug geliebt / Und wollen endlich hassen!“, „Reißt die Kreuze aus der Erden! / Alle sollen Schwerter werden!“, „O wag’ es doch, nur Einen Tag, / Nur Einen, frei zu sein“, „Und durch Europa brechen wir / Der Freiheit eine Gasse!“.

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Preußens Friedrich Wilhelm IV., um eine populistische Geste nie verlegen, empfängt ihn; die Begegnung verläuft eher frostig. Kurz darauf verbietet der König eine geplante literarische Zeitschrift, verschärft die Zensur und verbannt den just Verlobten aus Berlin. Begleitet von einer Hetzkampagne der preußischen Presse, bekommt Herwegh nun auch den Spott falscher Freunde zu spüren, die ihn für die neue politische Eiszeit verantwortlich machen. Dessen ungeachtet bilden sich in vielen Städten Herwegh-Klubs, und Junglyriker wie Paul Heyse – 1910 wird er den Nobelpreis erhalten – zwitschern übermütig im Ton der „eisernen Lerche“.

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Dass ein Lyriker kaum als Heerführer taugt und sein Jawort töricht und romantisch gewesen sei, lässt sich im Nachhinein leicht sagen. Marx warnt vor dem Abenteuer, schimpft den Freund gar einen „Lumpen“. Doch von Emma und Bakunin gedrängt, übernimmt Herwegh die Führung. Nach langem Fußmarsch durch Frankreich erreicht die auf 700 Mann und eine Frau (Emma, in Männerkleidern) geschmolzene Schar den Rhein. Hecker allerdings ist da bereits geschlagen, und so befindet sich Herweghs Legion, gejagt von hessischen und württembergischen Truppen, bald nur noch auf der Flucht durch Matsch und Schnee. Emma leitet den Rückzug auf steilen Pfaden über die Höhen des Schwarzwalds, bis die Legion schließlich von königlichen Truppen gestellt und trotz erbittertem Widerstand in die Flucht getrieben wird. Am Ende sind dreißig junge Männer gestorben, die für eine demokratische Zukunft gekämpft hatten.

Der populäre amerikanische Historiker Gordon A. Craig verteidigte 1988 in seinem Buch Geld und Geist den Freiheitskampf gegen alle üble Nachrede vom „kläglichen Versagen“ und von der „feigen Flucht“: „Wenn auch die Gegner Herweghs versuchten, seinen Feldzug ins Lächerliche zu ziehen, so war es, unvoreingenommen betrachtet, doch ein ehrenhaftes, einer edlen Sache gewidmetes und unter großem persönlichen Risiko durchgefochtenes Unternehmen.“

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1873, ein Vierteljahrhundert nach dem Aufbruch von 1848, schreibt er ein letztes großes Gedicht, mit dem er an das Vermächtnis der Freiheitskämpfer erinnert, die in Berlin gefallenen sind: „Achtzehnhundert vierzig und acht, / Als im Lenze das Eis gekracht, / Tage des Februar, Tage des Märzen, / Waren es nicht Proletarierherzen, / Die voll Hoffnung zuerst erwacht /Achtzehnhundert vierzig und acht? // […] // Achtzehnhundert siebzig und drei, / Reich der Reichen, da stehst du, juchhei! / Aber wir Armen, verkauft und verraten, / Denken der Proletariertaten – / Noch sind nicht alle Märze vorbei, / Achtzehnhundert siebzig und drei.“

Die Reaktion der Reaktionäre bleibt nicht aus. Herwegh sei nichts weiter als „ein Trunkenbold der Phrase“, wettert der preußische Hofhistoriker Heinrich von Treitschke, für dessen Antisemitismus („Die Juden sind unser Unglück“) Herwegh nur ein Wort übrig hat: „Die Rassenfrage gehört in die Gestüte, nicht in die Geschichte.“

/ Michail Krausnick, Die Zeit

An Auswahlbänden herrscht kein Mangel. Doch endlich erscheint nun – ohne jede Subventionierung – eine Gesamtausgabe. Vier der sechs Bände liegen vor: frühe Gedichte (Band 1), späte Prosa (Band 4) und zwei Bände mit Briefen. Herausgegeben von Ingrid Pepperle in Verbindung mit Volker Giel, Heinz Pepperle, Norbert Rothe und Hendrik Stein, erscheint sie im Aisthesis Verlag, Bielefeld, und kostet je Band zwischen 98 und 148 Euro

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