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Vladimir Nabokov war nicht gerade für schmeichelhafte Urteile bekannt. Doch in seinem Erinnerungswerk «Speak Memory» schrieb er über den russischen Dichter Vladislav Chodasevič, den er 1932 im Exil kennengelernt hatte: «Ich fand grossen Gefallen an diesem bitteren Mann, der aus Ironie und metallischem Genie gemacht war und dessen Lyrik ein ebenso komplexes Wunder darstellte wie die von Tjutčev oder Blok.» In seinem Nachruf auf Chodasevič, 1939, verkündete er geradezu siegesgewiss, dieser werde «der Stolz der russischen Dichtung bleiben, solange die letzte Erinnerung daran lebendig ist». (…)
Chodasevič, der elegante Saturniker, der pessimistische Klassizist, der formbewusste Melancholiker, der Dualität und Distanz zu den Grundzügen seiner Lyrik machte. Als Sohn eines verarmten polnischen Adligen und einer zum Katholizismus konvertierten russischen Jüdin 1886 in Moskau geboren, widmete sich Chodasevič zunächst dem Ballett, dann dem Studium der Jurisprudenz und Philologie, bis er zur Dichtung fand. Sein erster Lyrikband, «Jugend» (1908), verrät den Einfluss von Symbolisten wie Waleri Brjussow und gefällt sich in der Pose von Lebensmüdigkeit und Selbstironie. Das ändert sich in der zweiten, vor allem aber in der dritten Gedichtsammlung, «Der Weg des Korns» (1920), in der Chodasevič die Oktoberrevolution – die er zunächst begrüsste – und die Krise Russlands in den Blick nimmt. In mehreren (reimlosen) Langgedichten vergegenwärtigt er auf beklemmende Weise die Zerstörungen, die der Bürgerkrieg in Moskau angerichtet hat. Es sind lakonische Momentaufnahmen des Grauens, vermischt mit Bildern einer zweifelhaften Normalität. Kein Wunder, hat Joseph Brodsky den streng beobachtenden Sprachkünstler, der die Schrecken in Puschkinsches Jambenmass bannte, verehrt.
1922 erschien die Sammlung «Die schwere Lyra», darin die Dualität von Transzendenz und existenziellem Elend, von Natur und Technik zum Ausdruck kommt. Im selben Jahr verliess Chodasevič mit der nachmaligen Schriftstellerin Nina Berberova Russland Richtung Berlin. Geplant war ein Aufenthalt auf Zeit, doch wurde daraus ein Dauerexil. Chodasevič verbittert zusehends, der sarkastische Ton seiner Berlin-Gedichte ist unüberhörbar. Die deutsche Metropole erscheint ihm in grotesker Verzerrung, wie auf den Karikaturen von George Grosz. (…)
Eben dieser Kompromisslosigkeit aber verdankt sich sein postumer Ruhm. Wobei man sich nun endlich auch auf Deutsch ein Bild von Chodasevičs Dichtung machen kann. Adrian Wanner, bekannt für seine Übersetzungen von Alexander Blok, legt eine stattliche zweisprachige Ausgabe mit ausgewählten Gedichten von 1907 bis 1927 vor, ergänzt durch ein informatives Nachwort und den Nachruf von Vladimir Nabokov. (…)
Und mitten im Bürgerkriegsrussland, 1918, schreibt er die verstörenden Verse: «Mit kalten Blicken mustere ich nur / Den Ruhm der Zukunft, schal und leer . . . / Dafür brauch ich die Wörter ‹Blume›, ‹Kind› und ‹Tier› / Jetzt immer öfter, immer mehr.» Solche Verse machen einen frösteln. Statt Revolutionspathos diese formvollendete Klarheit, bis hin zu den Reimen, die Chodasevič meisterhaft beherrschte. An der Form war ihm gelegen, um desto deutlicher zu machen, wie sehr es im Gebälk des Lebens krachte. Den saturnischen Weltzustand – und den seines unerlösten Innern – kleidete er in Zeilen von kalter Eleganz.
Man muss ihn lesen, diesen Vladislav Chodasevič, «im Gedächtnis an die Zukunft». / Ilma Rakusa, NZZ
Vladislav Chodasevič: Europäische Nacht. Ausgewählte Gedichte 1907 bis 1927. Russisch/deutsch. Nachgedichtet und mit einem Nachwort herausgegeben von Adrian Wanner. Mit einem Essay von Vladimir Nabokov. Arco-Verlag, Wuppertal 2014. 222 S., € 24.–.
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