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Eine Ihrer Erzählerinnen in „Der schaudernde Fächer“ beklagt die „scheußliche Vokabelarmut“ im Deutschen. Beklagen Sie das auch?
Im Englischen oder Russischen gibt es viel mehr Vokabeln. Was aber nicht nur ein Vorteil ist. Englische Lyrik kann geradezu ertrinken darin. So viele Hauptwörter, man schwelgt darin, aber es passiert nichts. Anders, wenn man eine so spröde und komplizierte Grammatik hat wie im Deutschen. Die Vorsilben zum Beispiel bringen einen Ausländer völlig auf die Palme. Der ästhetische Vorteil kann jedoch sein, dass die Sprache weniger farbengesättigt ist und dafür grafischer wird, dynamischer. Für Lyrik ist das ein Vorteil, finde ich, bis man dann partout ein statisches Gedicht schreiben will, zum Beispiel bei Übersetzungen aus dem Englischen. Dann ist es wieder problematisch, dass die Verben dreimal so lang sind und aus zwei Teilen bestehen, und die ganze schöne Schlichtheit ist am Arsch. Man sagt aber trotzdem, das Deutsche sei eine gute Übersetzungssprache, weil man andere Idiome relativ gut nachmachen könne. Ins Englische übersetzt klingen Texte meistens nur gestelzt.
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In Japan geht es um ein Projekt, bei dem ich versuchen werde, ein Langgedicht zu schreiben, das sich mit japanischen Kanji-Schriftzeichen beschäftigt. Es gibt zahlreiche Kanji-Schulen für erwachsene Ausländer, viele benutzen Eselsbrücken für die Zeichen und haben das für andere auch schriftlich niedergelegt. Das kombiniere ich mit der kursierenden These über „unsere“ griechischen Ursprünge, dass poetische Techniken wie Reim und Metrum sich als Memorierhilfen für lange orale Texte entwickelten.
/ Gespräch mit Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau
Über die Vokabelarmut im Deutschen kann ich mich als Persischübersetzerin wirklich nicht beklagen. Das schönste Beispiel ist „goft“ (er/sie sagte), das mal auf einer Seite sechs oder sieben Mal erschien (Wiederholung wird im Persischen nicht als störend empfunden). Je nach Kontext hieß es dann auf Deutsch: erwiderte, erläuterte, behauptete, feststellte usw.
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