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Der Berliner Lyriker Christian Filips hat Lawrence Sternes Hauptwerk „Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman“ in ein Oratorium verwandelt – und gibt sich im Interview dem Chaos hin. Hat es überhaupt stattgefunden?
Stephan Karkowsky: Zwei Bücher nur machten Laurence Sterne unsterblich: das eine „Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman“, das zweite „Eine empfindsame Reise durch Frankreich und Italien. Von Mr. Yorick“, das war schon der Titel. Was uns diese Bücher 300 Jahre nach der Geburt des Autors noch angehen, das soll mir Christian Filips verraten! Herr Filips, guten Tag!
Christian Filips: Guten Tag, hallo!
Karkowsky: Laurence Stern, das ist einfach, war Dorfpfarrer im 18. Jahrhundert. Bei Ihnen wird es komplizierter, da brauche ich etwas länger, Sie sind Lyriker, Sie sind Übersetzer, Autor und wahrscheinlich auch immer noch Programm- und Archivleiter der Sing-Akademie zu Berlin. Und als solcher ein ziemlich verrückter Musikdramaturg, wenn die Bemerkung gestattet ist! Habe ich was vergessen?
Filips: Ach, allerlei, ja.
(…)
Karkowsky: Sie hatten sich im Vorfeld gewünscht – ich darf das hier verraten –, dass unser Gespräch über Laurence Sterne im Chaos enden möge, das würde dem Roman am ehesten gerecht. Insofern dürften Sie ja auch die chaotische „Tristram Shandy“-Verfilmung von Michael Winterbottom genossen haben, oder die bislang … war es die bislang einzige, soweit ich weiß?
Filips: Ah, das Chaos kann man sich ja gar nicht wünschen, wie soll man sich das denn wünschen, das ist ja da!
Karkowsky: Man kann es ordnen oder man kann es sein lassen mit dem Ordnen!
Filips: Das Chaos zu ordnen, das kann nur Gott, das schaffen wir nicht! Diese Verfilmung, ja, ich glaube, das ist die einzige Verfilmung. Aber das ist ja auch keine Verfilmung. Also, was, wie soll man eine Verfilmung von diesem Buch machen? Das ist ein Film über einen Film.
Karkowsky: Über einen Film, der versucht, etwas zu verfilmen, was eigentlich unverfilmbar ist. Es heißt, „Tristram Shandy“ sei unverfilmbar. Warum eigentlich?
Filips: Ja, weil es das Buch nicht gibt. Es gab auch dieses Oratorium nie, das war ein Oratorium, das es nie gegeben haben wird.
Karkowsky: Dürfte.
Filips: Dürfte? Na ja, also, verboten ist es nicht, wir haben es uns nicht verbieten lassen.
Karkowsky: Aber es war nicht Konjunktiv, es existierte nicht.
Filips: Nein, es hat nie existiert. Wir machen eine Sendung darüber, aber die Sendung ist eine Sendung über einen Gegenstand, der nie existiert hat.
Karkowsky: Eigentlich existiert diese Sendung auch nicht, denn ich kann Ihnen jetzt verraten, dass wir dieses Gespräch gerade aufzeichnen und vermutlich nicht senden werden. Wären wir jetzt live hier, dann würde es jetzt über den Sender gehen!
Filips: Ja, das stimmt, aber ich kann jetzt Ihnen sagen, dass vor dem Funkhaus gerade ein Mann in einem blauen Pullover um die Ecke geht, er hat eine weiße Kappe auf und es ist jetzt genau 14:16 Uhr.
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