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Stefan George (1868 bis 1933), der von seinen Freunden und Jüngern „der Meister“ genannt wurde, war selbst niemals in New York. Was hätte er, der alles Amerikanische, wie er es verstand, als „entseelt“ verachtete, dort auch finden können oder finden wollen? Jedoch hätte ihm bei einem Besuch das im Jahr 1911 eröffnete Prachtgebäude der New York Public Library als „Geistspeicher“ wohl Respekt, wenn nicht Bewunderung abgenötigt.
In diesem Schatzhaus, das allen Schichten der New Yorker Bevölkerung offen steht und tatsächlich von allen, vom Stadtstreicher bis zum Wissenschaftler, genutzt wird, liegen – bislang unerschlossen – sämtliche Briefe, die Stefan George an seinen Freund Ernst Morwitz von 1905 bis 1933 geschrieben hat. Wer war dieser Freund, der dem Dichter selbst als der „Nächste Liebste“ galt?
Ernst Marcus Morwitz wurde 1887 als Sohn jüdischer Eltern in Danzig geboren. Sein Vater war Makler von Grundstücks- und Geldgeschäften. Zur Vorbereitung auf das Städtische Gymnasium besuchte der junge Morwitz eine private Knabenschule, die von einer Angehörigen der angesehensten Mennonitenfamilie Danzigs geleitet wurde. Nach dem Tod des Vaters zog die Mutter mit ihrem Sohn nach Berlin, wo er von 1902 an das Kaiserin-Augusta-Gymnasium in Charlottenburg besuchte. Als Unterprimaner wandte sich Morwitz im Jahr 1905 mit einem Brief an George, den er seit seiner Lektüre von dessen Werk „Der Teppich des Lebens“ bewunderte und verehrte. Er schrieb: „Herr! Ich ehre Sie, ich ehre Ihre Werke, ich ehr’ die Dichter, die auch Sie verehren. Sie sind mein Vorbild. Sie und Meister Verhaeren. Ich bewundere die Schönheit und sie berauscht mich zu Ihrem Kult.“ / Eckhart Grünewald, FAZ 3.6.
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