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Veröffentlicht am 18. Mai 2013 von lyrikzeitung
Mit dem gleichen Mut zur Provokation, mit dem er am Beginn seiner Dichterlaufbahn die Krebsbaracken und Sektionssäle inspiziert hatte, wandte er sich nun den »kleinen Leuten« zu: »Sein Leben fließt dahin – ein Gast wird jäher –/er schleift den kranken Fuß, er ballt den Schuh, –/ein anderer scherzt mit ihm und tritt ihm näher/und flüchtigt ihm ein Wohlwort zu, –«, heißt es in dem Gedicht »Alter Kellner« aus dem Jahr 1938, das die wunderbaren Kneipenverse seiner letzten Schaffensperiode vorwegnimmt.
Ist das »große Lyrik«? Wird Benn mit Reimen dieser Art dem eigenen Anspruch gerecht? Jedenfalls fällt er nicht auf seine literarische Masche herein. Während die Gedichte, mit denen er für gewöhnlich in den Anthologien vertreten ist, den hohen Ton oft bis zur Selbstparodie treiben, ist das kunstlose Parlando seines Spätwerks frisch geblieben und findet bis heute seine Nachahmer. Gottfried Benn hat in seinen letzten Lebensjahren genau registriert, was in seiner Umwelt vorging. Die großen Worte dagegen fielen ihm immer schwerer. Von den Begriffen wollte er nichts mehr wissen; lieber saß er vor dem Radio und ärgerte sich – genau wie wir heute – über das Billigangebot der elektronischen Medien. Den Schlager »Im Hafen von Adano« ließ er sich zur Not noch gefallen, aber mit dem Nachtprogramm hatte er seine Probleme: » – die Wissenschaft als solche –/wenn ich Derartiges im Radio höre, /bin ich immer ganz erschlagen./Gibt es auch eine Wissenschaft nicht als solche?« / Kurt Darsow, junge Welt 18.5.
Kategorie: Deutsch, DeutschlandSchlagworte: Gottfried Benn, Kurt Darsow
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