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Isabelle Vonlanthen interessiert sich für jene Dichter und Publizisten, denen das Nationale zur Weltanschauung, zur „Ästhetik des Aufbegehrens und der Revolution“ wurde, wie sie es nennt. Das Militärische dominiert die Texte. Das Individuum wird zum Soldaten für das Vaterland, bildet Kampfgruppen, bis die Nation marschiert.
„In diesem Zusammenhang wird eigentlich auch die Dichtung als kriegerisch-militärische Tat, als bewaffnete Tat oft beschrieben. Dann ist sicher die religiöse Komponente sehr wichtig. Das Vaterland als auferstandene Nation; die Gottesmutter, die die Polen zu sich holt. Des Weiteren wichtig ist auch die unreine Nation.“
Die Literatur wird stark politisch. Dichterisch-militärisch will sie die Nation schaffen, durch ein religiöses Band zusammenhalten und zuletzt bestimmen, was und wer sich zur polnischen Gesellschaft zählen dürfe, damit die Nation als rein anzusehen wäre. So wurden – zumindest literarisch – Minderheiten und unter ihnen vor allem jüdische Bürger angefeindet und ausgegrenzt, schreibt die Autorin
Ukrainer, Weißrussen, Juden und Deutsche. (…) Die größte Bedrohung orteten die Nationaldemokraten aber bei den Juden, mit denen sie in vielfältigen internen Beziehungen im gleichen Staat lebten. Die Juden waren in der Zweiten Republik nicht nur das Feindbild par excellence, ihnen wurde auch eine feindliche Haltung Polen gegenüber zugeschrieben.
Der nationaldemokratische Antisemitismus, der die allgemeinen nationalistischen Tendenzen jener Zeit widerspiegelt, gründete auf einer Kombination von religiösen, sozialen, ethnischen und wirtschaftlichen Aspekten. (…) Anstatt die wirtschaftlichen Probleme mit Reformen zu beheben, wurden in einer zweifelhaften Maßnahme die pauperisierten Juden zu Sündenböcken erkoren.
Die neuen Texte sollten das Bewusstsein der Polen stärken und eine neue Gemeinschaft entwerfen. Dabei kann man zwei Lager unterscheiden. Das regierende Lager um Józef Piłsudski, Marschall und Präsident, entwirft einen Staat für alle Bewohner Polens. Das zweite Lager plädiert – aus der Defensive heraus – dafür, nur Polen reinen Blutes einzubeziehen. / Arkadiusz Luba, DLR
Isabelle Vonlanthen: Dichten für das Vaterland
National engagierte Lyrik und Publizistik in Polen 1926-1939
Theologischer Verlag Zürich, August 2012
444 Seiten, 49,20 Euro
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