111. Potenzierte Poesie vom Außenseiterposten

Wenn, wie Robert Schumann schrieb, Musik die höhere Potenz der Poesie ist, dann ist dieses Buch Musik. Eine Sinfonie in sechs Sätzen und im austarierten Wechsel zwischen orchestraler Wucht und kammermusikalischer Feinheit. Ein Glanzstück literarischer Komposition und von jener intellektuellen und poetischen Eigensinnigkeit, die vom großteilig in Fadheit genormten Gedudel des Gegenwartsliteraturbetriebes mit fataler Zwangsläufigkeit auf den Außenseiterposten verbannt wird. Auf dem arbeitet sich der 1965 geborene Autor Thomas Kunst seit jeher ab. Woran weder euphorische Besprechungen von Deutschlandfunk bis FAZ noch das inzwischen 13 Bände umfassende Gesamtwerk etwas änderten.

Ob das jetzt mit „Die Arbeiterin auf dem Eis“ anders wird, bleibt abzuwarten. Mehr als nur verdient hätte es dieses Buch, das in sechs Kapiteln Gedichte und Briefe zu einem Kosmos verschmilzt, in dem die Wirklichkeit sich irrlichternd in Poesie komprimiert. Es geht um Liebe und Literatur, Ameisen in Palästina, Coyoten in Tucson haben große Auftritte, die Wut über „blutleere Gedichtattrappen“ bricht sich Bahn, Größenwahn zeigt sich als „verwildertes Selbstbewusstsein“, Venedig wird im Waschbecken erbaut oder sich frei jeglicher Folklore der grotesken Situation einer Schriftstellerexistenz in der DDR erinnert. All das: Sprachmusik, potenzierte Poesie – und der große literarische Wurf eines kleinen Verlages. / Steffen Georgi, in: REGJO. Das Magazin für Wirtschaft und Kultur aus Mitteldeutschland. 32. Ausgabe. Heft 1/2013

Die Arbeiterin auf dem Eis. Gedichte
und Briefe
edition Azur
Dresden 2013
136 Seiten
22,00 €

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