20. Gedichte? Erst recht

Nachdem sein Sohn ein Opfer des Drogenkriegs wurde, hat sich der Poet Javier Sicilia geschworen, keine Gedichte mehr zu schreiben. „El mundo ya no es digno de la palabra“, heißt es in seinem erklärtermaßen letzten Gedicht: „Die Welt ist des Wortes nicht mehr würdig.“

Diese nachvollziehbare Konsequenz bleibt zum Glück die Entscheidung eines Einzelnen. Die junge Literaturszene in Mexiko Stadt gibt sich alle Mühe, auch unter diesen Umständen weiterzuarbeiten. Das zeigt sich vor allem in den Büchern der Independent-Verlage Textofilia und Sur+. Der Dichterin und Verlegerin Gabriela Jauregui von Sur+ ist die Situation des Landes ein Grund, sich erst recht zu engagieren. …

Jetzt organisiert und ediert sie eine Anthologie von Dichtern aus Ciudad Juárez, jener Stadt an der Grenze zu den USA, die derzeit die höchste Mordrate der Welt verzeichnen soll.

In dem Band befinden sich auch Arbeiten des jungen Dichters Rubén Macías Esparza, der bereits eine Antwort auf Sicilias Absage an die Poesie verfasst hat: „Javier Sicilia / Vergiss nicht, dass die Poesie / die Buchstaben des Namens deines Sohnes weiterträgt“, heißt es da. „Mach deine Tinte klarer / unter diesem Pulver, das uns erdrückt / Javier / Sing uns heute deine Gedichte und entgehe / den Kugeln, die deinen Sohn ermordet haben und folg /damit nicht / der Schmerz zu existieren uns alle zersetzt.“  / Johannes Thumfart, Die Zeit

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