49. „Politische Lyrik muß sofort sitzen und ziehen“

Politische Gedichte will die Zeit drucken, nein sogar veranlassen. Gestern begann die Serie. DLF befragte Dirk von Petersdorff, der nicht so angetan ist, denn:

Und heute? – Ja, das ist dann teilweise etwas verklausuliert, man muss lange überlegen, versteht es nicht. Ich glaube, politische Lyrik muss auch eingängig sein, das muss sofort sitzen und ziehen.

Über Monika Rinck:

Es ist vielleicht kein im ganz engen Sinne politisches Gedicht, aber ein schönes Gedicht, was, finde ich, eine ganz anders gestaltete Welt vorstellt.

Zu Marion Poschmann:

Ich muss dann zugeben, ich habe das Gedicht nicht so genau verstanden, was diese zwei Körper eigentlich sind. Ich würde sagen, schlicht zu kompliziert für politische Lyrik.

Jan Wagner:

Der macht es ja eigentlich so, dass er sagt, ja, ich erfülle eure Erwartungen nicht, ich schreibe ein Naturgedicht, was man dann indirekt auf Politik beziehen kann, aber es ist kein in direkter Weise politisches Gedicht.

(Verständlich waren gewiß die Stalinhymnen Bechers und tausend anderer, die Führergedichte Agnes Miegels. – Zum Thema Verstehen siehe Volker Brauns Aufsatz „Rose Paal und der Aufstieg der Lyrik“! Kernaussage: Wenn heute wieder etwas gewußt werden soll über uns, muß es nicht „verständlich“ wie bei Brecht, sondern so geschehen wie in zeitgenössischer Lyrik: auch wenn es die Landarbeiterin Rose Paal dann erst mal nicht versteht.)

– Und Braun zitiert (meint) da nicht Braun, Enzensberger oder Rühmkorf, wir es Germanisten tun würden. Er hätte Elke Erb nennen können, nennt aber Hölderlin:

Der Winkel von Hahrdt.

Hinunter sinket der Wald,
Und Knospen ähnlich, hängen
Einwärts die Blätter, denen
Blüht unten auf ein Grund,
Nicht gar unmündig
Da nämlich ist Ulrich
Gegangen; oft sinnt, über den Fußtritt,
Ein groß Schicksal
Bereit, an übrigem Orte.

Ist das politisch? Braun scheint zu meinen: politischer als Brecht, wenn man ihn heute imitierte.

One Comment on “49. „Politische Lyrik muß sofort sitzen und ziehen“

  1. Wenn die ZEIT mit ihrer Initiative die politische Lyrik hierzulande auch nicht wiederbelebt, wie in der SZ behauptet wurde (es gab sie in den vergangenen Jahren immer wieder), so sollte man die großflächige Veröffentlichung von zeitgenössischer Poesie in einer auflagenstarken Wochenzeitung zumindest mit verhaltenem Jubel begrüßen. Aktuelle Dichtung ist wieder in vieler Munde. Fernsehen, Rundfunk, andere Zeitungen berichten darüber, keinem der zahlreichen ZEIT-Leser werden die Gedichte schon wegen ihrer gigantischen Darbietung an herausragender Stelle entgehen. Und es könnte sich wieder eine Debatte anschließen. Muß politische Lyrik auch heute eingängig sein, sofort sitzen und ziehen? Warum nicht, wenn sie originell und zündend ist! Aber die deutschsprachige politische Lyrik nach Erich Fried macht es dem Leser nicht so einfach. Sie ist meistenteils verfremdet, verklausuliert. Der Kopf wird gefordert, nicht das pochende Herz der Empörung. So oder so – verändern wird man mit politischer Lyrik in unseren Breiten nichts, bestenfalls hier und da zum Nachdenken anregen. Aber das würde ja schon reichen. Was ich mir wünsche: Mehr freche Verse wie die erste Zeile in Monika Rincks Gedicht: „Selig sind die Lyrikerinnen, denn sie werden die Streitkräfte übernehmen.“ Schöne Aussichten.

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