82. Bewältigung, Genie, Betrieb

Der Standard sprach mit Robert Schindel, der „Literarisches Schreiben“ in Wien lehrt:

Schindel: Für das Individuum gibt eine große Überschwemmung an Anforderungen aus der Welt. Früher hat man bestimmte Mythologien verwendet, um das Bedrohliche auf das eigene Maß einzuarbeiten. Das fehlt heute. Daher erschaffen sich Menschen heute ihre private Mytho-Poesie, um mit diesen Anforderungen fertig zu werden. Es gibt heute wesentlich mehr, die Gedichte schreiben, als solche, die Gedichte lesen. Die Menschen wollen sich ausdrücken. Der Weg von diesem therapeutischen Bewältigungsverhalten zu einem Kunstwerk ist nicht einfach.

Standard: In Amerika sind Creative-Writing-Klassen seit langem selbstverständlich. Warum hat das hierzulande so lange gedauert?

Schindel: Im Deutschen ist der Geniebegriff zu Hause, das hat mit der Überschätzung der Innerlichkeit zu tun, mit den Folgen der Romantik, den unterentwickelten demokratischen Entwicklungen. Der Künstler ist einer, der zu leiden hat. Das merkt man auch in der deutschen Literatur.

Standard: Sie sind auch Lyriker. Wie sehen Sie die Marktgängigkeit der Lyrik für die Zukunft?

Schindel: Wenn ich mir anschaue, dass Lyrik in den Feuilleton-Besprechungen immer mehr zurückgeht, könnte ich pessimistisch sein. Bin ich aber nicht, weil sich Lyrik stets in einem Auf und Ab befindet. Die Lyrik hat es schwer, aber sie wird nicht untergehen. Man müsste sich als Zeitung vielleicht eine Vorgabe geben. Von selber passiert sicher nichts, da werden überall nur dieselben sieben, acht Bücher besprochen, die gerade angesagt sind.

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