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Die Arndtdebatte bietet uns allen die Chance, unser Arndtbild zu hinterfragen, zu überdenken und, wenn notwendig, zu korrigieren.
Das schreibt Jost Ae zur Arndt-Debatte in der Greifswalder Ausgabe der Ostsee-Zeitung vom 13.3. Natürlich hat er Recht. Die Frage ist nur, ob die Chance ergriffen wird. Ich fürchte: nein. Weder von Anhängern noch Gegnern des Namens Ernst Moritz Arndt für die Greifswalder Universität. 1456 vom Greifswalder Bürgermeister Heinrich Rubenow mit Unterstützung des Stettiner Herzogs gegründet als zweitälteste Universität Norddeutschlands, dann fast 200 Jahre schwedische, dann Königlich Preußische Universität, erhielt sie 1933 vom preußischen Innenminister Göring den Namen des Rügeners Ernst Moritz Arndt. Nach dem Zusammenbruch des Nazireichs strich die Verwaltung der sowjetisch besetzten Zone Hakenkreuz und „Ernst Moritz Arndt“ mit Rotstift aus gestempelten Dokumenten, aber in den 50er Jahren besann sich die SED auf „nationale Traditionen“, wozu die „preußischen Patrioten“ Scharnhorst oder Gneisenau und eben auch Arndt gehörten. Seit den 90er Jahren flackert eine Kontra-Arndt-Debatte periodisch auf und ab, jüngst auf studentische Initiative wiederaufgenommen. Eine Urabstimmung der Studenten erzielte allerdings keine Mehrheit gegen den Namen. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der Universität findet nicht statt. Arndtgegner verweisen auf Arndt den Franzosenfresser und Antisemiten, während die Befürworter des Namens sich darauf berufen können, daß er in einer Streitschrift die Abschaffung der Leibeigenschaft im damals schwedischen Vorpommern forderte. Manche „Wessis“ schimpfen auf die Ostdeutschen mit ihrem mangelnden Demokratieverständnis, während mancher „Ossi“ von Westarroganz spricht. In Wirklichkeit gehen die Fronten freilich quer durch die „Lager“.
Im Januar (#137. Gedenktag) schrieb ich: „Umbenennungen sind nicht mehr zeitgemäß. Manche Schulen, Straßen, Kasernen oder so Bedürfnisanstalten haben Namen, die nicht jedem gefallen müssen: Aber sie erinnern uns an Geschichte.“ Jetzt muß ich mal in die Gegenrichtung treten, nicht wegen dem Beitrag Aes, dem mein Respekt gilt. Aber in der gleichen Ausgabe steht eine Annonce von über 30 Ost- und Westdeutschen, fast alle Mediziner oder Naturwissenschaftler, die fordern: „Ernst Moritz Arndt muss bleiben“. Ihre Begründung:
Wir wenden uns gegen eine Umbenennung der Greifswalder Universität!
Ernst Moritz Arndt war ein Patriot seiner Zeit, ein demokratischer Vordenker und Freigeist.
Eine Namensenthebung der Greifswalder Universität käme einer ideologischen Geschichtsklitterung gleich, die nicht hinzunehmen ist.
Gewiß, man kann über alle Wertungen trefflich streiten. Ideologische Geschichtsklitterung aber steckt eher in dieser Argumentation. Hat Hermann Göring der Universität den Namen Arndts etwa wegen demokratischer Gesinnung gegeben? Wer mit dieser Begründung für die Beibehaltung des Namens stimmt, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der damals stramm konservativen Universität gerade nicht will. Die NSDAP hatte bei Professoren und Studenten schon vor der „Machtergreifung“ starke Positionen (bei den ASTA-Wahlen 1930: 53%, 1931: 60% NSDAP – eine der ersten Unistädte mit absoluter Mehrheit). Von da ging der Wunsch nach Arndts Namen aus – nicht von dessen demokratischer Gesinnung oder Freigeistigkeit, über die man auch diskutieren kann. Wenn der Name bleibt, ist das nicht eine Ermunterung für die dort vorgeführte Geschichtsvergessenheit?
Da dies aber keine Greifswaldzeitung ist, sondern eine in Greifswald redigierte Lyrikzeitung, hier ein gutes Gedicht des Autors, der weiß Gott auch schlechte geschrieben hat. Ich nehme es anstandslos in meine Anthologie auf (nicht ohne vorsichtshalber hinzuzufügen, daß ein Gedicht kein Argument ist):
Ernst Moritz Arndt
Ballade
Und die Sonne machte den weiten Ritt
Um die Welt,
Und die Sternlein sprachen: wir reisen mit
Um die Welt;
Und die Sonne sie schalt sie: ihr bleibt zu Haus!
Denn ich brenn‘ euch die goldenen Aeuglein aus
Bei dem feurigen Ritt um die Welt.
Und die Sternlein gingen zum lieben Mond
In der Nacht,
Und sie sprachen: du, der auf Wolken thront
In der Nacht,
Laß uns wandeln mit dir, denn dein milder Schein
Er verbrennet uns nimmer die Aeugelein.
Und er nahm sie, Gesellen der Nacht.
Nun willkommen, Sternlein und lieber Mond,
In der Nacht!
Ihr versteht, was still in dem Herzen wohnt
In der Nacht.
Kommt und zündet die himmlischen Lichter an,
Daß ich lustig mitschwärmen und spielen kann
In den freundlichen Spielen der Nacht.
Aus: Gedichte von Ernst Moritz Arndt, Frankfurt / Main: P.W. Eichenberg 1818, S. 332.
(verbürgt von meinem Antiquar)
In der zweiten Hälfte der 90er Jahre betrat ein Herr ein Antiquariat in Greifswald in Vorpommern und fragte: „Haben Sie Bücher von Ernst Moritz Arndt?“
Der Antiquar, der auf ein wenigstens kleines Geschäft hoffte, führte den Herrn an einen Glasschrank und zog ein oder zwei Erstausgaben heraus. Aber der Herr warf keinen tieferen Blick auf die Bände, sondern sagte mit Empörung in der Stimme: „Das habe ich mir gedacht, daß Sie hier solche Bücher verkaufen!“
Was der Antiquar (der wie der Herr aus den sogenannten Alten Bundesländern stammte) dem empörten Herrn antwortete, habe ich vergessen oder nicht überliefert bekommen.
Das Buch mit den Gedichten aber habe nachher vielleicht ich gekauft.
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