137. Gehirnerweichung

Was Decker dann in ihrem Buch erzählt, ist die Geschichte einer Frau, die ihre äußere Heimat verloren hat. Als Else Lasker-Schüler elf Jahre ist, stirbt ihr Lieblingsbruder; mit 21 verliert sie ihre Mutter. Sie heiratet zweimal, lässt sich zweimal scheiden. Die Hälfte ihres Lebens besitzt sie keine eigene Wohnung, sondern lebt völlig mittellos in Pensionen oder irgendwo zur Untermiete. 1927 stirbt ihr einziger Sohn an Tuberkulose. Und 1933 schließlich verlässt sie Deutschland, nachdem sie als Jüdin mehrfach zusammengeschlagen wurde.

Else Lasker-Schülers Heimat ist die Welt, die sie sich mit ihrer Dichtung selbst schafft. Sie gibt sich den Namen „Jussuf, Prinz von Theben“ und schreibt Dramen, Erzählungen, Briefe und Gedichte; Liebesgedichte vor allem – denn verliebt ist sie ihr ganzes Leben, auch noch mit 70. Die äußere Welt, die Welt der Spießer, kann das nicht verstehen. Die Rheinisch-Westfälische Zeitung bescheinigt ihr „vollständige Gehirnerweichung“. Und ein Gericht urteilt über eines ihrer Gedichte, es habe einen „auffallenden Mangel an vernünftigem Sinn“. / Marcus Weber, DLR 23.11.

Kerstin Decker: Mein Herz – Niemandem. Das Leben der Else Lasker-Schüler.
Propyläen Verlag, Berlin 2009
474 Seiten, 22,90 Euro

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